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Archiv-Artikel

Staunen über Armut und Obdachlosigkeit

Emmaus-Sommercamp 2004: Junge Aktivisten aus Asien, Afrika und Südamerika sammeln und verwerten zusammen mit Mitgliedern der Kölner Emmaus-Gemeinschaft Sachen aus Wohnungsauflösungen. Und korrigieren ihr Bild von Europa

Von Thomas Spolert

„Ich war schockiert“, berichtet Anaclet Katumbulu Kitungano aus Burundi von seinen ersten Eindrücken in Köln. Kitungano hatte gerade im Rahmen des erstmals von der Emmaus Gemeinschaft Köln und Krefeld organisierten Sommercamps eine Suppenküche gesehen. Am Appellhofplatz verteilen die Emmaus-Mitarbeiter schon seit Jahren drei Mal in der Woche an bis zu hundert Bedürftige kostenlos eine warme Mahlzeit. „Ich habe so etwas noch nie gesehen“, erzählt Kitungano mit aufgeregter Stimme. Armut und Obdachlosigkeit – so etwas komme in dem Bild der Afrikaner vom Leben in Europa schlicht nicht vor.

Noch bis morgen geht das diesjährige Treffen von rund 30 jungen Menschen aus Europa, Afrika, Indien und Südamerika in Köln und Krefeld. Im Rahmen ihrer zweiwöchiger Sommercamps bringt Emmaus International junge Aktivisten zur gemeinsamen Arbeit zusammen. „Wir wollen mit diesem Jugendaustausch vor allem neue Verantwortliche für die Arbeit bei Emmaus gewinnen“, erklärt Willi Does von der Kölner Emmaus Gemeinschaft den Zweck des internationalen Treffens.

Vor 55 Jahren gründete Abbé Pierre in Frankreich die Emmaus Gemeinschaft als Selbsthilfe-Initiative für Menschen, die aus verschiedenen Gründen aus der Bahn geworfen wurden. In Köln besteht die Gemeinschaft schon 45 Jahre. „Wir leben vom Müll der Gesellschaft“, bringt Willi Does das Modell Emmaus auf den Punkt.

Gemeinsam mit seiner Frau Pascale leitet er seit 21 Jahren die Kölner Gemeinschaft, die vom Verkauf von selbst gesammelten Secondhand-Artikeln lebt. Durchschnittlich leben in der Kölner Gemeinschaft 20 Menschen, die durch Beziehungskrisen, Arbeitslosigkeit oder Obdachlosigkeit durchs bürgerliche Raster gefallen sind.

Im zweiwöchigen Sommercamp sammeln, verwerten und verkaufen junge Aktivisten gemeinsam mit den Mitgliedern der Kölner Emmaus Gemeinschaft Sachen aus Wohnungsauflösungen und Sachspenden. Das so verdiente Geld ist dieses Jahr für ein neues Projekt im ukrainischen Lwiw vorgesehen. Rund 2.000 Euro wollen die Sommercamper für die dortige Armenküche und soziale Arbeit an die seit zwei Jahren bestehende Emmaus-Gruppe spenden. Die jugendlichen Helfer werden außerdem 80 Ballen mit Secondhand-Kleidung im Wert von 55.000 Euro für einen Hilfstransport nach Argentinien packen.

Auch Jerome Nicolas aus Indien hilft dabei. Er ist als Vertreter der Emmaus Gemeinschaft Südasien angereist. Im indischen Tamil Nadu arbeitet er für eine Hilfsorganisation, die vor allem mit den Menschen aus der Kaste der Unberührbaren arbeitet, um deren Diskriminierung und den alltäglichen Rassismus zu überwinden. Junge Menschen werden in Handwerksberufen, aber auch im IT-Bereich ausgebildet, damit sie ihren eigenen Lebensunterhalt verdienen können. Auch für Nicolas war die Suppenküche am Kölner Appellhofplatz eine Überraschung. „Das war für mich eine völlig neue Erfahrung“, schildert Nicolas seine Eindrücke. Solche Armut habe er sich in Europa nicht vorstellen können.

Noel Houeto aus Benin hat dieses Erlebnis nachhaltig beeindruckt. „Wir haben stundenlang über die obdachlosen Jugendlichen vom Appellhofplatz gesprochen“, erzählt der junge Aktivist. In Benin ist er in seiner Selbsthilfe-Initiative für die Zuteilung der Hilfsgüter aus Europa zuständig. Die übrige Zeit kümmert er sich um den Gemüseanbau. Seine Organisation arbeitet mit Straßenkindern, Kleinkriminellen und Arbeitslosen. Sie werden fit gemacht in Viehzucht, Ananasanbau oder sie lernen Autos zu reparieren. Außerdem unterhält seine Initiative Mieträume für Ausbildung und Seminare. Gemeinsam mit Anaclet Katumbulu Kitungano vertritt er während des Sommercamps die Emmaus Gemeinschaft der Region Afrika.

Die beiden Afrikaner finden die Arbeit von Emmaus in Köln sehr gut. Jedoch reicht ihrer Ansicht nach eine Suppenküche für die Obdachlosen am Appellhofplatz nicht aus. „Eine warme Suppe ist keine Lösung“, sind sich Houeto und Kitungano einig. Emmaus müsse gemeinsam mit dem Kölner Oberbürgermeister nach Lösungen suchen und sich noch mehr vernetzen.