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Archiv-Artikel

„Träume kann man nicht kaufen“

Die Wagenburg „Schwarzer Kanal“ am Spreeufer östlich der Jannowitzbrücke soll weg. Mietern der neu gebauten Büros und Lofts sei der Anblick einer Hand voll Bauwagen, die zum Wohnen und nicht zum Bauen genutzt werden, nicht zuzumuten

von ARIANE BRENSSELL

Vor der Brandmauer eines Bürokomplexes, der sich „Spree-Carrée“ nennt, stehen ein paar bunte Bauwagen der Wagenburg „Schwarzer Kanal“ eng aneinander. Vor ihnen liegt das Spreeufer, und daneben stehen die Ruinen einer alten Nähgarnfabrik. Hoch ragt ihr roter Ziegelschornstein in den Himmel. Darin nisten Turmfalken. Unten, zwischen den alten Lkws und Bauwagen der Wagenburg blühen Sonnenblumen, Königskerzen, Kürbisse und Kräuter.

Rund um die Köpenicker Straße, zwischen Mitte und Kreuzberg, sind in den alten Industriegebäuden an der Spree zahlreiche Bürokomplexe entstanden: „Office-Lofts“, „Büros mit Spreeblick“, „Gewerberäume mit Topstandard“. Viel steht leer. Auf dem Platz vor der Brandmauer dagegen drängen sich die Wagen der BewohnerInnen. Sie wurden vom Investor des „Spree-Carrées“, der Office Grundstücksverwaltung, außer Sichtweite geklagt: Nichts soll zu sehen sein von den Büros aus. Einen Trading-down-Effekt lösten Wagenburgen aus, sie würden zur „Nachahmung anregen und problematische Folgenutzungen in der Nachbarschaft anziehen“, so gibt der Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin dem Kläger Recht.

Knapp 20 Frauen wohnen derzeit im „Schwarzen Kanal“. Darunter viele Lesben und Transgender. „Damit sind wir zur Zeit die einzige Wagenburg in Berlin für Frauen und Menschen, die sich keinem Geschlecht zuordnen wollen“, sagt Susanne Lambert, die selbst seit einem Jahr hier lebt. Sie sitzt auf der Veranda des zur Gemeinschaftsküche umfunktionierten Wagens, auf der sich die Frauen allabendlich zum Essen treffen. Einige der Bewohnerinnen sind jung. Gerade 20 Jahre alt. Die Älteste wird bald 45. „Wir machen ganz unterschiedliche Sachen“, erzählt Lambert. „Eine Bildtechnikerin gehört zu uns und eine Schmiedin. Ein paar Zimmerinnen sind dabei, eine Landmaschinenmechanikerin, eine Ingenieurin, eine Fahrradkurierin. Auch viele Studentinnen.“ Doch, wie lange sie hier noch bleiben können, ist unklar, denn Investoren monieren ihre Anwesenheit.

Die Wagenburg „Schwarzer Kanal“ wurde schon einmal vertrieben. Durch Ver.di, die ihren Hauptsitz neben dem alten Wagenplatz baute. Auf dem dortigen Gelände, dreihundert Meter die Spree hinauf an der Schillingbrücke, standen die Wagen zwölf Jahre. „Ein kleines Biotop war entstanden, aber viele der Bäume und Sträucher, die damals dort gepflanzt wurden, sind mittlerweile gerodet, berichtet Usch Jabinik, die schon auf dem alten Platz gewohnt hat und sich nicht vorstellen kann, wieder in eine Wohnung zu ziehen. Warum nicht? „Wohnungen sind für mich tote Räume, im Bauwagen kriegt man Wetter und Jahreszeiten viel besser mit.“

Als die Wagenburg wegen Ver.di weiterziehen musste, wurde ihr für zweieinhalb Jahre der derzeitige Platz zugewiesen. Die Zeit ist bald um, und es gibt einen weiteren Räumungsbescheid. Die Bewohnerinnen haben Widerspruch eingelegt. Sie wollen bleiben, solange das Gelände nicht anders genutzt wird. Und sie wollen ein Recht auf ihre eigene Wohnform. „Wohnen auf dem Wagenplatz ist keine Notlösung. So stellen es diejenigen dar, die uns weghaben wollen“, sagt Kay B. Sie zeigt einen Brief des klagenden Anwalts Gerhard Opitz. Er schreibt, der ursprüngliche Grund zur Errichtung von Wagenburgen sei entfallen; in Berlin gebe es genügend leer stehende „Mietwohnungen für Preise zwischen 2,00 und 4,00 Euro pro Quadratmeter.“

Wohnungsknappheit jedoch sei nicht der Grund für ihre Lebensweise, darin sind sich die Bewohnerinnen einig. „Wir verstehen uns als Wohn- und Kulturprojekt. Das heißt für uns selbstbestimmt, kollektiv und umweltschonend zu leben. Ganz bewusst verbrauchen wir wenig Ressourcen, wenig Wasser und Strom, und ganz bewusst machen wir in unserer Freizeit etwas für den Kiez“, meint Susanne Lambert. Der Wagenplatz bietet eine Volksküche an, und es gibt alle zwei Monate das Varieté des „Schwarzen Kanals“. „Kunst, aber ohne Kommerz!“ Das ist den Bewohnerinnen wichtig. „Schon komisch, das man heutzutage alles, was keinen Geldwert hat, rechtfertigen muss, selbst das einfache Leben“, ergänzt Kay B.

Das Varieté im „Schwarzen Kanal“ ist legendär. Es existiert seit ungefähr zwölf Jahren und begann auf dem alten Platz an der Schillingbrücke. „Bei der letzten Veranstaltung im Mai waren 400 Besucher und Besucherinnen da. Feuershows, Drag-Shows, Performances, Musik, Akrobatik gab es“, erzählt Usch Jabinik. Die KünstlerInnen nehmen kein Geld, der Wagenplatz auch nicht. Bühne und Tribünen sind selbst gebaut. Zuschauerinnen können sich für Auftritte bewerben. „Wir haben eine Open Stage“, sagt sie.

Solche Aktionen machen den Wagenplatz zum kulturellen und sozialen Anlaufpunkt. In den Augen der Investoren ist genau das das Problem. Für sie ist das „Verslumung“, für sie stellen die Wagenplätze ein „Sicherheitsrisiko“ dar. Sie minderten den Wert ihrer Immobilien, wird argumentiert. Dass dies zur einzigen Logik von Stadtentwicklung wird, dagegen stehen mobile Wohnformen wie die Wagenburgen.

Die Bewohnerinnen vom „Schwarzen Kanal“ sind mit ihren Forderungen nicht allein. „Mit der Wagenburg haben wir überhaupt keine Probleme, auch keine Berührungsängste“, sagt ein Mitarbeiter aus der Geschäftsleitung des „Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge“, der Räume direkt nebenan gemietet hat. Auch Architekten und Stadtplaner unterstützen die Idee der Erhaltung der Wagenplätze in den Innenstadtbezirken: „Ich halte es für viel gefährlicher, wenn die Stadt verslumt wird durch das 123. Starbucks-Café um die Ecke. Das ist Kulturverslumung“, sagt der Architekturprofessor Gernot Nalbach in einem Filmbeitrag über Berliner Wagenplätze. Zudem, so erläutert er weiter, entstehen Sicherheitsrisiken gerade durch die Überzahl von Bürogebäuden. Denn die Büros sind nach Feierabend leer, die Straßen am Abend und in der Nacht verödet. Die Lebendigkeit im Kiez gehe verloren. Genau dies führt dazu, dass Leben durch Videokameras oder den Wachschutz ersetzt wird. „Und durch eine Welt der Versprechen, die mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmt“, ergänzt Kay B.

Als an der Schillingbrücke ein Wohnhaus gebaut wurde, an dem ein Werbeplakat hing „Traumwohnungen zu verkaufen“, reagierte die Wagenburg. „Wir haben ein Transparent aufgehängt, da stand drauf ‚Träume kann man nicht kaufen‘“, erzählt Kay B. „Wer welche hat, soll aber wissen, dass auch darum gekämpft werden kann“, meint sie.

Das nächste Varieté: heute Abend um 22.00 Uhr, Michaelkirchstr. 20.