: Adolfs Tolle ist wieder da
Mode bedient sich schon lange aus dem Fundus der Uniform-Fetischisten. Jetzt sind die Neonazis dran
Der Journalist und Haudegen Peter Scholl-Latour hat den jungen Menschen von heute unlängst geraten, sich lieber zu bewaffnen, anstatt sich um ihre Renten zu kümmern, die irgendwann einzustreichen es ohnehin wenig Hoffnung gäbe. Die Jugend hört auf den Rat des alten Mannes, der auch schon das Ende der Spaßgesellschaft ausgerufen hatte, zumindest in Bezug auf ihre ästhetische Ausstattung. Der Camouflage-Look ist überhaupt nicht mehr totzukriegen und stellt mittlerweile eine Kleidungsvariante dar, die ähnlich der Jeans turnusgemäß zum Trend ausgerufen wird. Militärklamotten unbedingt behalten, sie sind auch im nächsten Jahr noch aktuell. Schwer angesagt: spanischer Wüstenflecktarn.
In Berlin-Mitte, Standort sowohl des Führerbunkers als auch des Technoclubs „Tresor“ und auch der neuen Berliner Modeszene orientiert man sich neuerdings sogar frisurentechnisch an dem Vorbild eines gewissen böhmischen Gefreiten. Die Pressekonferenz der Berliner „Bread & Butter“-Modemesse sollte zwar atmosphärisch den Geist der 20er-Jahre heraufbeschwören, geriet aber aufgrund der Kopfbehaarungsstruktur des Messe-Miterfinders Kristyan Geyr optisch zu einem Mode-Medley der 30er. Er trug einen Adolf-Scheitel mit tief in die Stirn gezogener Haarspitze, ergänzt durch eine etwas in die Breite gezogene Hitler-Rotzbremse. Ein deutliches Zitat, das in dieser Form auch in der Mitte-Club-Latte-Sneakers-Szene immer häufiger anzutreffen ist. Der Adolf-Look ist womöglich im Begriff, die gelgestützte Schmierfrisur abzulösen. Der Berliner Friseur Roberto H. (32) wundert sich: „Seit einem Dreivierteljahr kommen Kunden und wollen einen Scheitel wie bei Adolf“. Die Scheitellinie wird bei dieser Variante sogar noch extra betont, indem ein halber Zentimeter Haar wegrasiert wird.
Hochgehalten wird diese Art des Kopfschmucks traditionell von historisch interessierten US-Soldaten und der Intellektuellen-Abteilung der Neonazis, die diesem auch ihre Bezeichnung verdanken: von den Scheitel-Nazis.
Mag es sich dabei auch nur um eine nicht besonders originelle Provokation handeln, um eine Koketterie oder sonstige geistige Blähung: Es ist eine beängstigende Vorstellung, demnächst von metrosexuellen Herren mit Hitler-Frisur und Schnurrbart umringt zu sein. MARTIN REICHERT