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Archiv-Artikel

„Rap nur über das, was du kennst – das ist HipHop“

Nie war eine Jugendkultur weiter verbreitet als HipHop. Gerade weil sie lokale Themen und soziale Lebenswelten aufgreift und verarbeitet.Medienforscher Jannis Androutsopoulos über das erfolgreiche Wechselspiel zwischen globaler Verbreitung und lokaler Performance

INTERVIEW KLAUS RAAB

taz: Herr Androutsopoulos, mal ehrlich: dicke Autos, schöne Frauen, große Sprüche – HipHop ist immer dasselbe.

Jannis Androutsopoulos: Ja und nein. Man muss sich von der Vorstellung verabschieden, dass HipHop oder andere Musikkulturen einheitlich sind. Es gibt ja vier Elemente, die zu HipHop gerechnet werden: Rap, DJing, Breakdance und Graffiti. Und was wir in MTV zu sehen bekommen, ist nur ein Ausschnitt; nur das, was von Rap durch die Filter der Medieninstitutionen durchkommt und als massentauglich empfunden wird. Von daher ist vielleicht das, was wir gefiltert zu sehen bekommen, gleich. Das ist aber nicht HipHop, sondern eine ausgewählte Repräsentation. Wenn man sich aber anschaut, was sich im kleineren, amateurhaften Bereich abspielt, was also die Jugendlichen im Hinterhof, zu Hause oder im Jugendzentrum tun, dann sieht man Unterschiede oder ganz andere Gemeinsamkeiten.

Zum Beispiel?

Der Aspekt der Lokalisierung ist der HipHop-Kultur inhärent. Wenn Jugendliche anfangen, diese Kultur umzusetzen, also selber zu dichten, zu tanzen oder zu malen, geht es nicht darum, einfach das Original zu reproduzieren, sondern etwas aus dem lokalen Kontext zu verarbeiten. Das ist bereits im HipHop, auch im US-amerikanischen HipHop, gegeben: Man äußert sich über den eigenen sozialen Kontext, über die eigene soziale Erfahrung. Erzähle nur das, was du aus erster Hand kennst. Die Jugendlichen können im lokalen Kontext in Deutschland oder in Italien nicht authentisch sein, indem sie einfach nur nachmachen, was die Vorbilder erzählen. Sondern sie müssen ihren Diskurs rund um lokale Wirklichkeit aufbauen.

Und das tun sie, indem sie lokale Themen behandeln?

Im Prinzip zeigt sich Aneignung oder dieses Wechselspiel von Globalem und Lokalem auf allen Ebenen der semiotischen Ausgestaltung. Thematisch greift man in der Tat lokale Probleme auf, etwa korrumpierte Politiker, soziales Elend, die eigene Nachbarschaft. Aber auch wenn man kein lokales Thema behandelt, wird es durch lokale Mittel ausgestaltet. Indem man etwa lokale Metaphern oder Anspielungen auf lokale Größen heranzieht. Es gibt zum Beispiel diesen Passus vom Rödelheim Hartreim Projekt, wie war das? „Du bist weich wie ein Kissen, ich komme hart wie Thyssen Stahl“. Das ist auf der einen Seite eine Variation auf die Zeile „You’re as soft as a pillow and I’m as hard as steel“ aus dem LL Cool J-Klassiker „I Need Love“. Gleichzeitig geschieht die lokale Verortung durch einen Vergleich mit einer lokalen Institution aus der deutschen Industrie.

Typisch für deutschen HipHop?

Die Franzosen, die Italiener oder die Japaner machen das alle ähnlich, aber mit Anspielung auf ihre eigenen Institutionen und Sitten. Man sieht die lokale Ausgestaltung auch im Sprachstil. Französischer Rap ist nicht einfach französisch, sondern unterscheidet innerhalb des Französischen sehr feinmaschig. Rap aus Pariser Vororten klingt ganz anders als Rap aus dem Elsass.

Und anders als die Sprache, die in anderen Bereichen der Gesellschaft gesprochen wird.

Genau. Vor allem klingt die Sprache des Rap anders als die normierte Standardsprache. Innerhalb jeder Sprachgemeinschaft ist es ein Teil der Lokalisierungsarbeit, sich durch den Sprachgebrauch feiner zu verorten: also durch Dialekt, durch Sprachstil und so weiter.

Aber es werden ja gleichzeitig weltweit gleiche HipHop-Begriffe eingeflochten und Verhaltensweisen aufgegriffen: Alle sagen „Yo, brother“ oder „Keep it real“, alle dissen die anderen Posses. Ist das nicht ein Hinweis auf die kulturelle Vorreiterschaft der USA?

Ich denke, dass diese globale Verbreitung von Begriffen und Techniken auf die Wertschätzung der schwarzen Kultur schließen lässt, weil es Vertreter der afroamerikanischen Minderheit waren, die HipHop quasi erfunden haben. Und die ist innerhalb der USA eine kritische Subkultur, auch teilweise eine Kultur des Protestes. Diese ganzen Sprach- und Verhaltensfetzen verweisen speziell auf die schwarze, auf die afroamerikanische HipHop-Kultur und nicht auf amerikanische Kultur insgesamt. Natürlich kann man dann auch auf einer zweiten Ebene die Frage stellen, inwiefern die kulturelle Vorherrschaft der USA dadurch dennoch bestätigt wird.

Jedenfalls bezieht sich HipHop auf der ganzen Welt auf seine New Yorker Ursprünge.

Die Quelle ist überall die gleiche, das schon, und auch der Fluss der Kulturbotschaften ist in globalem Zusammenhang gesehen unidirektional. Alle sind inspiriert von den US-Entwicklungen, aber nicht umgekehrt. Der US-Markt weiß wenig darüber, wie sich HipHop in Indonesien oder in Italien entwickelt. Aber die Aneignung ist unterschiedlich, also die Impulse, wie diese Medienbotschaften lokal verstanden werden und wie sie lokal umgesetzt werden.

Nie war eine Jugendbewegung weiter verbreitet als HipHop. Warum übersetzen Jugendliche weltweit ihre lokalen Erlebnisse ausgerechnet in den HipHop?

HipHop ist zugänglich: Man kann tanzen oder rappen ohne große technische Ausrüstung. Darin liegt der Unterschied zum Beispiel zu Gitarrenmusik oder zu elektronischer Musik. Es ist eine performative Kultur, keine reine Konsumjugendkultur. Man muss aktiv teilnehmen, eine der Ausdrucksformen beherrschen, und erst dadurch kommt man zur Mitgliedschaft in der lokalen Szene. Dabei muss man sich dann dem Wettbewerb stellen. Man will mit anderen battlen. So entsteht die Kultur. Das ist ein sehr wichtiger Unterschied zu anderen Formen von Poprockmusik, bei denen dieses Gebot der Aktivität nicht gegeben ist. Das alles trägt neben dem Aspekt der Lokalisierung zur globalen Verbreitung bei.

Im akademischen HipHop-Diskurs ist von einer Solidarität der HipHopper die Rede. Was verbindet denn etwa Die Fantastischen Vier aus dem Stuttgarter Mittelstand und einen Rapper aus einem armen kolumbianischen Vorort?

Gemeint ist eine Solidarität auf zwei Ebenen. Die erste beruht auf einer gemeinsamen geschichtlichen Erfahrung der vor allem Afrikastämmigen.

Die USA wird mit einbezogen?

Es geht um die Solidarität, die zum Beispiel Afrikaner oder Afrostämmige weltweit mit den Afroamerikanern verbindet, die also auf einer gemeinsamen Erfahrung von Sklaverei, Diskriminierung und Unterdrückung beruht. Das platziert und situiert HipHop in seinem ursprünglichen Kontext, nämlich als afroamerikanische oder afrodiasporische Ausdrucksform.

Und die zweite Ebene der Solidarität?

Das ist die der Gleichgesinnten in Bezug auf eine Lebensweise, die in einer gleichen Logik des Wettbewerbs und der Stilbildung agieren. Das ist nicht zwingend eine politisch verstandene Solidarität. Sie kann es sein, insbesondere dann, wenn Rap als Protestsprache verstanden wird; wenn also Rap als Medium benutzt wird, um lokale Probleme, Ungleichheit, Diskriminierung zum Ausdruck zu bringen. Das ist aber nur in Teilen der Fall. Man muss die Solidarität auch in einem ästhetischen Sinn auffassen, als eine weltweite Gemeinschaft der Gleichgesinnten, die in einem symbolischen Wettbewerb stehen, bei dem nicht die Nationalität im Mittelpunkt steht, sondern die skills, die Fertigkeiten. Das sieht man auf den Jams und Contests, wo Crews aus aller Welt zusammenkommen und diese Solidarität erlebt wird.

In Ihrem Buch schreiben Sie, dem akademischen HipHop-Diskurs stünden die Szenemitglieder allerdings eher unsolidarisch gegenüber.

Die Universitäten behandeln HipHop oft als Beispiel für etwas anderes: für kulturelle Globalisierung oder für Performativität zum Beispiel. Sie eignen sich HipHop zu ihren eigenen theoretischen Zwecken an. Aus der Szene heißt es dann: Das soll ein Buch über HipHop sein? Wir verstehen aber kein Wort. Das ist gewissermaßen ein Systemproblem. Sobald man Jugendkultur in einem größeren theoretischen Zusammenhang verorten will, hat man ein Übersetzungsproblem gegenüber den Akteuren. Die HipHop-Kultur und die Wissenschaft sind zwei getrennte Systeme. Jedes funktioniert mit seiner eigenen Logik. Aber dass es überhaupt diesen akademischen Diskurs gibt, ist auch eine Anerkennung dafür, dass HipHop ein lebendiger und wichtiger Teil der Populärkultur ist – ein sehr kreativer und ein sehr innovativer.