: Ein Loop namens Alltag
Im Kreis verkehren: Das Kunstprojekt „Dresden Postplatz. So weit war ich mit meinen Gedanken gekommen, als plötzlich der Frühling hereinbrach“ bringt die Elbstadt über die Auseinandersetzung mit öffentlichem Raum in einen internationalen Kontext
von ROBERT HODONYI
Nichts bewegt sich mehr. Wenn die Rushhour den gewohnten Rhythmus des Kreisverkehrs am Postplatz in Dresden lahm legt, Straßenbahnen und Busse still stehen und Autos lange Schlangen bilden, ist der eigene Körper kurzzeitig aus der Schusslinie genommen. Es gibt am Postplatz kein Leitsystem für Fußgänger, keine Ampeln und keine Zebrastreifen: Überqueren auf eigene Gefahr! Was sich hier zeigt, ist die Signatur einer gescheiterten Stadtplanung. Architektur, öffentlicher Nahverkehr, Fußgängerströme und die Massen an Autos befinden sich in einem permanenten Konflikt, der Aggressionen auslöst, aber keine Lösung bringt.
Als der wichtigste innerstädtische Verkehrsknotenpunkt liegt der Postplatz in unmittelbarer Nachbarschaft zum historischen Zentrum Dresdens. Während eine Seite von der barocken Fassade des Zwingers begrenzt wird, findet man gegenüber Gebäude funktionalistischer DDR-Architektur der Siebzigerjahre. In den Neunzigern entstanden zudem noch eine Einkaufspassage sowie zahlreiche Kioske. Seit die Ausländerbehörde hier ebenfalls ihr Domizil bezogen hat, sind verdachtsunabhängige Kontrollen nicht deutsch aussehender Passanten an der Tagesordnung. Die Bewegungsfreiheit von Migranten ist damit am wichtigsten Drehpunkt des öffentlichen Nahverkehrs stark eingeschränkt.
An der Peripherie des Postplatzes, unweit der kürzlich eröffneten Shoppingmall „Altmarktgalerie“, haben sich Künstler, politische Aktivisten und Radiomacher zu einem gemeinsamen Projekt zusammengefunden. In Vorträgen, Symposien, Workshops und Ausstellungen werden seit Mai künstlerische und theoretische Ansätze zu den Themen Migration, Ökonomie und Mobilität gebündelt, die weit über den konkreten geografischen Ort hinausreichen. Das gemeinsame Projekt „Dresden Postplatz. So weit war ich mit meinen Gedanken gekommen, als plötzlich der Frühling hereinbrach“ stellt die Auseinandersetzung um den öffentlichen Raum in einen nationalen und internationalen Kontext. „Inwieweit lassen sich Entwicklungsmuster der innerstädtischen Verdrängung, der Imagecity mit den Parolen von Sicherheit und Sauberkeit aus Hamburg, Frankfurt oder Berlin auf Dresden übertragen?“, lautet eine der Grundfragen von den fünf am Gesamtkonzept beteiligten Projekten – von Public Sampler, Info Offspring Kiosk, Radio Urban Document, der Initiative Spot Off gegen Videoüberwachung und dem Kunstfonds Sachsen.
„Sich gegenseitig schlauer machen“ ist zentrales Anliegen von „Dresden Postplatz …“ in Anlehnung an ein Zitat der Filmemacherin und Künstlerin Margit Czenki. So referierte Jochen Becker über die Hamburger Hafencity, wo „ein lebendiges Stadtviertel mit maritimem Ambiente entsteht, das Freizeit, Tourismus, Handel und Dienstleistung verbindet“. Hamburg soll im Trend der waterfront revitalisation konkurrenzfähig zu anderen Dienstleistungsmetropolen bleiben. Der Bau eines gläsernen, in der Mitte geknickten Turms als Wahrzeichen des neuen „MediaCityPort“ erinnert dabei an die Konzeption der Gläsernen Manufaktur von VW, die neben Semperoper und Frauenkirche zur wichtigen touristischen Attraktion Dresdens avanciert ist.
Die damit einhergehende Veränderung des öffentlichen Raumes ist Thema der Gruppe Spot Off. Die Gläserne Manufaktur wird von ihrem Architekten als Erweiterung des öffentlichen Raumes begriffen. Dabei benutzt VW, so Luise Maleta von Spot Off, „die Bedeutung Dresdens als Kunst- und Kulturhauptstadt und stilisiert damit den Kauf eines VW-Phaetons zu einem Kunstereignis“. Führungen, Kulturveranstaltungen und Jubiläen in der gläsernen Fabrik machten deutlich, was sich das Unternehmen unter Öffentlichkeit vorstellt: eine Kulisse, die Arbeit und das entstandene Produkt als Erlebnis erscheinen lassen soll.
Den Umlaufgeschwindigkeiten des Autos widmet sich die Künstlergruppe Reinigungsgesellschaft in einem Teilprojekt von „DresdenPostplatz …“, wobei sie den Blick auf Autobahnvoyeure lenkt. Autobahnbeobachter stehen auf Brücken, wie die Ausstellung „Autobahnbeobachtung – Kulisse als Lebensraum“ im von Adam Page und Eva Hertzsch konzipierten Info Offspring Kiosk zeigt, und sie setzen ihr Blickfeld einem permanenten Geschwindigkeitsrausch aus. Die Idee der Autobahn wird neu gedacht: Wurde sie einst als Symbol für Nation und „deutsche Landschaft“ gefeiert, so kehrt der Autobahnbeobachter diesen Blick um. Seine Art der Wahrnehmung kann nicht mehr mit Walter Benjamins Vorstellung des vom Gegenstand entfremdeten, aber kritischen Betrachters gefasst werden. Obwohl sich die Bewegung auf Autobahnen linear vollzieht und die sich dabei einstellende Rezeption als „statischer Geschwindigkeitsrausch“ (Reinigungsgesellschaft) bezeichnet werden kann, liegt eine ähnliche Wahrnehmung zugrunde wie beim Kreisverkehr am Postplatz, wo die Ausstellung installiert ist: die Fahrt als Loop.
Diedrich Diederichsens Vortrag im Vorfeld der Ausstellungseröffnung arbeitete den Komplex Loop/Wiederholung als eine entscheidende Kategorie der ästhetischen Erfahrung seit den Neunzigerjahren heraus. Die Wiederholung des immer Gleichen, beispielsweise im Techno, wird von Diederichsen politisch akzentuiert und ausgedeutet. Die Ablehnung von Globalisierung und Warenförmigkeit, wie sie von Attac immer wieder beschworen wird, die Parole, dass in dieser Welt viele Welten möglich wären, stellt Diederichsen als politisches Handlungskonzept in Frage. Mit dem Verweis auf die New Yorker Gruppe „Bernadette Corporation“ und ihr Statement gegen Attac – „Mag ja sein, dass eine andere Welt möglich ist, wir aber wollen diese, und wir wollen sie kaputtmachen“ – wird ein neues Verhältnis zu Ware, Gleichförmigkeit, Wiederholung und politischem Handeln umrissen.
Was bedeutet das alles aber für „DresdenPostplatz …“? Eins scheint klar: Der Verzicht auf abgegriffene politische Parolen, die Einschleusung ästhetischer Distanzen in den Alltag der flanierenden Passanten mittels Soundtransfers und Geräuschkulissen (Radio Urban Document) oder die Positionierung des mobilen Info Offspring Kiosks am Postplatz sorgt für Verstörung und Annäherung zugleich. Zumindest wird so für kurze Zeit ein bestimmter Loop, den man Alltag nennen könnte, durchbrochen.
Bis Oktober, Infos unter www.dresden-postplatz.de oder www.kulturstiftung-des-bundes.de