: Lieber der Himmel über Berlin als Hollywood
„Ich war so eifersüchtig!“ Ein Porträt der jungen französischen Schauspielerin Ludivine Sagnier, die in „Swimming Pool“ von François Ozon eine provenzalische Nymphomanin gibt
von HARALD PETERS
Dem allgemeinen Vernehmen nach ist sie die Muse von François Ozon. In seiner Fassbinder-Verfilmung „Tropfen auf heiße Steine“ war Ludivine Sagnier das junge Mädchen, das erst von ihrem Freund wegen eines älteren Mannes verlassen wird und dann dem Freund den älteren Mann ausspannt. In „8 Frauen“ war sie das Nesthäkchen, das auf einem verschneiten Anwesen nach einem Mörder sucht. Und in Ozons neuem Film „Swimming Pool“ dient sie als forsche provenzalische Sexbombe auf Landurlaub einer etwas steifen, britischen Krimiautorin als Inspirationshilfe. Ozon hat dazu erklärt, er habe sie mit dieser Rolle ruinieren wollen. Sagnier sagt: „François und ich sind wie Bruder und Schwester.“
Es ist durchaus denkbar, dass Ozon nicht nur von Sagnier beflügelt wird, sondern dass auch Ozon seinerseits seine Schauspielerin nachhaltig beflügelt. Ihre Karriere verdankt sie ihm indes nicht. Obwohl sie als Kind Astronautin werden will, besucht sie bereits in jüngsten Jahren eine Schule, in der man statt Raumfahrttechnik die Schauspielkunst lehrt. Als Jugendliche wechselt sie dann ans Konservatorium, zwischendurch gibt sie, gerade zehn Jahre alt, in „Les maris, les femmes, les amants“ von Pascal Thomas 1989 ihr Filmdebüt. Danach spielt sie neben Gerard Depardieu in „Cyrano de Bergerac“. Anschließend kommt sie wegen unzähliger Arbeiten für Film, Fernsehen und Bühne kaum zur Ruhe.
Doch erst die Ozon-Filme bringen den großen Erfolg. Irgendwann ruft sogar Hollywood und bucht Ludivine Sagnier für P. J. Hogans „Peter Pan“ – weshalb man sie spätestens zur Weihnachtszeit als ein kleines, stummes, putziges und feenhaftes Ding namens Tinker Bell bewundern darf. Da sie während der Dreharbeiten zwecks Flugsimulation allerdings oft stundenlang vor der Blue Box an irgendwelchen Bändern hängen musste, seien Filme dieser Art nicht ihr vorrangiges Ziel. „Ich muss nicht nach Hollywood gehen. Ich kann auch in Frankreich drehen. Ich nehme nur die Rollen, die mich interessieren.“ Was sie an der Rolle der Tinker Bell besonders interessierte, verrät sie nicht. Dafür gibt sie zu Protokoll, dass Tinker Bell im Vergleich zur Julie aus „Swimming Pool“ nach künstlerischen Gesichtspunkten wohl eine deutlich geringere Herausforderung gewesen sei. Das leuchtet denn auch ohne weiteres ein, da Sagnier im wirklichen Leben weitaus mehr wie Tinker Bell denn wie eine Sexbombe wirkt.
Ludivine Sagnier ist eher schüchtern als laut, eher klein als groß, eher bezaubernd als schön. Als sie im Berliner Hotel Adlon den Gang entlanggeht, hält sie verträumt ihre Schuhe in der Hand. Sie trägt ein weiß-rot kariertes Kleid und knabbert beim Interview an den rot lackierten Nägeln. Dass die Verkörperung der selbstbewusst-extrovertierten Julie mit gewaltigen Anstrengungen verbunden gewesen sein muss, mag man sich unter diesen Voraussetzungen vorstellen. Zwar werden radikale Verwandlungen meist unter Zuhilfenahme von radikal eindeutigen Kostümen und anderen Hilfsmitteln bewerkstelligt. Doch was, wenn es kaum Kostüme gibt? Passend zum Titel besteht ihre Garderobe denn auch über weite Strecken des Films aus wenig mehr als einem Bikinihöschen, was für Sagnier noch vor den Dreharbeiten ein trainingsintensives Bodytuning bedeutete.
Hinzu kam, dass Ozon sie über die psychologischen Feinheiten ihrer Figur weitgehend im Dunkeln ließ. Ihrer Kollegin Charlotte Rampling habe er bei der Darstellung der Schriftstellerin Sarah Morton in jeder Szene mit Erklärungen zur Seite gestanden, ihr habe er hingegen niemals auch nur irgendetwas erzählt. „Ich war so wütend! Und ich war eifersüchtig. Mittlerweile weiß ich aber, dass es einer von François’ Tricks war, der dem Film letztlich zugute kam.“ Man weiß zwar nicht, ob man bei erfahrenen Schauspielern eine derartige Naivität lieber beruhigend oder alarmierend finden möchte, Tatsache ist allerdings, dass Ludivine nach einer Reihe von großen Filmen von noch größeren Filmen träumt. „Ich möchte gern für Wim Wenders spielen.“ Sie sagt, dass „Himmel über Berlin“ ihr Lieblingsfilm sei. Zum Beweis hält sie kurz inne, sammelt sich, schlägt die Augen auf und rezitiert in gut verständlichem Deutsch: „Als das Kind Kind war, wusste es nicht, dass es Kind war. Warum bin ich und nicht du? Wann beginnt die Zeit? Wo endet der Raum? Ist das Leben unter der Sonne nicht nur ein Traum?“ Schwer zu sagen.