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: Er hat verstanden, Baby

Kalifornisches Tagebuch (II): Arnold, Arnold, Arnold – ja, gibt es denn kein anderes Thema? Konsequenterweise nicht

„Die Widersprüche des amerikanischen Lebens – oder der menschlichen Existenz – scheinen in Kalifornien doppelt so extrem zu sein.“ John Gross, Autor

Santa Cruz, Calif., 15. August. Ich stand mit dem Fahrrad an einer idiotisch geschalteten Ampel. Umzingelt von riesigen Autos. Atmete den Duft von kalifornischem Premium-Bleifrei ein. Las den klitzekleinen Aufkleber: „Demokratie ist kein Zuschauersport“. Oh nein, nicht hier in Kalifornien, wo man über eine halbe Million Dollar für eine Holzhütte bezahlt und angeblich obsessiv drei Dinge großschreibt: Körper, Autos, direkte Demokratie. Schon gar nicht in diesen Tagen, in denen man auf den 7. Oktober zulebt, jenen Tag, an dem man vom seit 1911 bestehenden Recht Gebrauch macht, den Gouverneur zur Abwahl zu stellen.

Wo immer man hinkommt: Irgendeiner ist schon da, der für das höchste Amt im Staat kandidiert. Es gibt ja 135 Bewerber. Sie lauern einem sogar schon auf Parkplätzen auf. Eine heißt Mathilda Kaval Spak, ist 100 Jahre alt und wird von „99 Cents only“-Läden gesponsert. Einer heißt Larry Flynt und besitzt das Männermagazin Hustler. Eine Pornoblondine will zur Sanierung des mit 38 Milliarden Dollar verschuldeten Staates künftig Brustimplantate besteuern. Und behauptet: „Ich kann Englisch.“

Das geht natürlich gegen Arnold und seinen „Komikerakzent“ (Newsweek). Grade im Buchladen hielt eine Frau neben mir verschiedene Publikationen hoch: „Überall Arnold“, sagte sie irritiert. Arnold, Arnold, Arnold.

Es gibt kein anderes Thema als den gebürtigen Grazer Actionfilm-Schauspieler und Unternehmer, der Gouverneur werden will. Dagegen schifft sogar die Nacktszene von Mick Jaggers Exfrau Jerry Hall im Theaterstück „Die Reifeprüfung“ ab. Ja, sogar der Two Buck Chuck, ein sensationell preisgünstiger Wein (1,99 Dollar) bei Trader Joe’s, einer Art ökologisch angehauchter Aldi-Ableger. Erst seit ich gesehen habe, wie die Leute das Zeug palettenweise wegschleppen, ahne ich, wie schlimm es um Kalifornien steht.

Man muss auch zugeben, dass manch kalifornische Progressivität für Außenstehende schwer nachzuvollziehen ist. Zum Beispiel wurde gerade in einer öffentlichen Ziehung das Alphabet neu sortiert, damit kein Kandidat aufgrund seiner alphabetischen Orientierung benachteiligt wird. Es fängt jetzt mit den Buchstaben R, W und Q an. Das neue RWQ gilt auch für den zweiten Buchstaben eines Namens, sodass auf dem etwa einen Kilometer langen Wahlzettel jetzt Bill Simon vor, aber der Grüne Peter Camejo hinter Schwarzenegger kommt.

Arnold (56). Mag sein, dass der Recall letztlich nicht vorbildliche direkte Demokratie ist, sondern gekauft wurde von einem republikanischen Millionär. Mag sein, dass das wahre Problem der Zustand der Demokratischen Partei Kaliforniens ist. Trotzdem ist die Sache mit Arnold vielleicht ein „Zirkus“, wie jeder sagt, aber auch eine logische Entwicklung. Je länger ich hier bin, desto klarer wird mir das. Und es ist klug, ständig die Erfolgsimmigrantenbiografie zu betonen. Und ansonsten nur „Hasta la vista, Baby“ und „I’ll be back“ zu sagen.

Erstens: Für die Masse in Kalifornien war Politik immer out. Nun verachten auch lesende Menschen die als opportunistisch und verderbt rezipierte Berufspolitik, verkörpert vom gegenwärtigen Gouverneur Gray Davis. Wer sagt, die Kalifornier hätten doch erst 2002 die Wahl gehabt, übersieht, dass viele das Gefühl hatten, eben keine zu haben. Zweitens: Mehr denn je ist Hochglanzberichterstattung in. Arnold ist eine in jeder Beziehung große Hochglanz-Celebrity. Selbst politikdesinteressierte junge Latinos könnten auf die Idee kommen, den Terminator zu wählen. Zudem ist Arnolds Frau eine Kennedy, die Demokraten und Wählerinnen anspricht.

Also: Arnold ist berühmt, beliebt und kandidiert zwar als Republikaner, aber nicht „für“ eine Partei, sondern „für die Menschen“. Platt? Genau dadurch macht er aus seinem Nachteil – keine Erfahrung beziehungsweise Ahnung zu haben – einen Vorteil. Ja, Arnold arbeitet einen Masterplan ab. Ihm kann nur noch eins schaden: dass auch der Präsident sich ihn als „guten Gouverneur“ vorstellen kann.

*

Ich stand an der Ampel und wartete. Während ich Kohlendioxid einatmete, wurde mir nicht nur klar, warum Arnold seinen Körper einst mit Steroiden aufgepumpt hatte. Sondern auch, warum er zur Abgabe der Kandidatenpapiere mit einem umweltzerstörenden SUV vorgefahren war: Arnold hat Kalifornien verstanden. Ganz und gar.

Fragen zur direkten Demokratie?kolumne@taz.de