„Die Schicksale waren weitgehend identisch“

„In den Tod geschickt“: Eine Ausstellung in Hamburg erinnert erstmals gemeinsam an die Deportation von Juden, Sinti und Roma während des „Dritten Reichs“. Der Hamburger Historiker Ulrich Prehn erklärt, wie die Verfolgung organisiert wurde

ULRICH PREHN, 42, Historiker mit Schwerpunkt Zeitgeschichte, promoviert über den völkischen Politiker und Publizisten Max Hildebert Böhm. FOTO: PRIVAT

taz: Herr Prehn, wie viele Sinti und Roma sind aus Norddeutschland deportiert worden?

Ulrich Prehn: In Hamburg gab es drei größere Deportationen. Die erste fand am 20. Mai 1940 statt. Soweit heute bekannt, wurden an diesem Tag 910 Sinti und Roma ins so genannte Generalgouvernement ins polnische Bełżec deportiert. Darunter befanden sich auch Menschen aus vielen Städten und Landkreisen Schleswig-Holsteins und Niedersachsens. Aus Lübeck, Kiel oder Bremen etwa. Am 11. März 1943 wurden 328 Roma und Sinti von Hamburg aus nach Auschwitz deportiert, am 18. April 1944 weitere 26.

Wo im Norden lebten denn besonders viele Sinti und Roma?

Schwer zu sagen. Schon vor 1933 versuchten die Städte, Sinti und Roma loszuwerden. In Hamburg etwa versuchte man sie in die Vorstädte Wandsbek, Altona und Harburg abzuschieben. Mit dem Groß-Hamburg-Gesetz von 1937, das Altona, Harburg-Wilhelmsburg, Wandsbek und Bergedorf eingemeindete, wurde diese Praxis hinfällig. Von diesem Moment an fielen die Sinti und Roma in die Fänge der Hamburger Sozialbehörde, vor allem der Abteilung für Wohnungslose und Wanderer im Landesfürsorge-Amt und der Kriminalpolizei-Leitstelle Hamburg.

Waren Sinti und Roma damals sesshaft – und somit leicht ausfindig zu machen?

Die meisten lebten in Wohnungen und waren weitgehend assimiliert. Zum Teil wusste kaum jemand, dass sie Sinti oder Roma waren. Das änderte sich 1936, als die Nationalsozialisten die „Rassenhygienische Forschungsstelle“ im Reichsgesundheitsamt Berlin einrichteten, die „Zigeunerforschung“ betrieb. Dort waren Rassenhygieniker, Anthropologen, Mediziner und Kriminologen angestellt, die mit dem Reichskriminalpolizeiamt sowie mit den regionalen Kriminalpolizei-Leitstellen zusammenarbeiteten. Einige Mitarbeiter suchten die Menschen auf ihren Plätzen und in ihren Wohnungen auf, um sie über ihre Familienverhältnisse auszufragen. Sie fotografierten sie und vermaßen ihre Körper. So kam das NS-Regime zu einer beinahe umfassenden „Zigeunerkartei“.

Woran ließen sich diese assimilierten Sinti und Roma eigentlich erkennen?

Zum Beispiel an ihren Namen: Böhmer, Laubinger und Weiß sind typische Sinti-Namen. Die Angehörigen dieser Familien hatte man häufig schon während des Kaiserreichs registriert. Etliche Polizeistellen führten Buch darüber. Die Nazis konnten also auf weit vor 1933 entstandene Unterlagen zurückgreifen. Besonders interessierten sie sich für so genannte Zigeunermischlinge. Diese galten den NS-„Rassenexperten“ als „minderwertig“ und gefährlich.

Wussten die Sinti und Roma, dass sie deportiert werden sollten?

Das ist pauschal schwer zu sagen. Überlebende der ersten Deportation haben mir gesagt, dass sie größtenteils relativ ahnungslos waren. Andererseits muss man bedenken, dass es seit 1933 Verhaftungen gegeben hatte und nochmals 1938 im Rahmen der „Aktion Arbeitsscheu Reich“. Von den 300 Menschen, die im Juni 1938 in Hamburg verhaftet wurden, waren mindestens 100 Sinti und Roma, die ins KZ Sachsenhausen verschleppt wurden. Man kann also nicht sagen, dass alle Sinti und Roma 1940 von den Verfolgungsmaßnahmen überrascht worden waren. Die meisten Überlebenden, mit denen ich sprach, sagen, dass es ihnen schon vorher alles andere als gut ging. Sie waren seit Jahren systematisch entrechtet worden. Man hatte ihnen die Wandergewerbescheine weggenommen, und der „Festsetzungserlass“ von 1939 verbot ihnen, ihren Wohnsitz zu verlassen.

Die erste große Deportation von Sinti und Roma führte im Jahr 1940 nach Bełżec, also in ein reines Vernichtungslager. Wurden diese Menschen bewusst in die härtesten Lager gebracht?

Das kann ich so nicht bestätigen. Man muss wissen, dass Bełżec 1940 noch kein eingerichtetes Lager war. Die Menschen mussten es nach ihrer Ankunft selbst aufbauen. Man muss bedenken, dass dies ein sehr früher Zeitpunkt war – eineinhalb Jahre vor den ersten großen jüdischen Deportationen. Bełżec war damals noch kein „umfassend funktionierender“ Vernichtungsapparat, obwohl viele Menschen dort verhungerten oder ermordet wurden. Auf schreckliche Weise „perfektioniert“ wurde das Vernichtungsprogramm 1943 mit den systematischen Deportationen nach Auschwitz, wo es das berüchtigte „Zigeunerlager“ gab.

Die Hamburger Ausstellung gedenkt nun erstmals der deportierten Juden, Sinti und Roma gemeinsam. War das bisher ein Problem?

Nein. Sowohl die jüdische Gemeinde als auch die Rom- und Cinti-Union haben immer betont, dass die Opfer solidarisch zueinander stehen. Obwohl es in einzelnen Aspekten Unterschiede in der Verfolgung gab, sind die Schicksale beider Gruppen weitgehend identisch. INTERVIEW: PETRA SCHELLEN

Die Ausstellung „In den Tod geschickt“ eröffnet heute um 19 Uhr im Kunsthaus Hamburg, Klosterwall 15, und läuft bis zum 26. 4.