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Archiv-Artikel

Die Waisenmacher von Hamburg

Die Hansestadt will Kinder zurück nach Ghana bringen, die ohne Visum ihren Müttern nachgereist waren. Dort wartet das Waisenhaus auf sie

aus Hamburg ELKE SPANNER

Für ihre Kindheit werden Gifty und Sylvia Oppong von der Hamburger Ausländerbehörde noch wenige Tage gewährt. Nach Ablauf dieser Frist sollen die 13- und 14-jährigen Mädchen auf eigenen Füßen stehen und ein Leben in Ghana beginnen, allein, denn Angehörige haben sie dort nicht. Ihre einzige Verwandte ist ihre Mutter – bei der sie in Hamburg leben. Trotzdem wird in der Hansestadt die Abschiebung der beiden vorbereitet. Denn sie sind ohne Visum in Deutschland eingereist. Und auch der grundrechtlich verbürgte Schutz der Familie, hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht (OVG) entschieden, entbinde nicht von der Visumspflicht.

Die Hamburger Ausländerbehörde plant die Abschiebung von Kindern nach Ghana in großer Zahl. Wie viele Mädchen und Jungen insgesamt auf der Liste stehen, weiß selbst Behördensprecher Norbert Smekal nicht. Sachbearbeiter hatten bereits Flüge für vier Kinder gebucht, die nur deshalb noch bei ihren Müttern sind, weil sie nicht am Flughafen erschienen waren. Da noch Rechtsmittel und Petitionen laufen, hat das Amt ihnen bis zu diesen Entscheidungen eine letzte Frist gewährt. Über den Fall der Schwestern Oppong wird heute der Petitionsausschuss der Bürgerschaft beraten.

Die Ausländerbehörde sagt, dass das ghanaische „Department of social welfare“ sich um die Unterbringung kümmern werde, falls die Abschiebungen tatsächlich zustande kommen. Im Gespräch ist das Waisenhaus „Osu children's home“ in der Hauptstadt Accra (siehe Text unten). Genauere Absprachen im Vorfeld seien nicht möglich, „wir können den ghanaischen Behörden nicht vorschreiben, in welches Heim sie ihre Waisenkinder bringen“. Was den Anwalt der Schwestern Gifty und Sylvia Oppong zu der Feststellung veranlasst: „Sie sind keine Waisen. Sie haben eine sorgeberechtigte Mutter.“

Den von der Abschiebung bedrohten Kindern wird zum Verhängnis, dass ihre Mütter zunächst ohne sie nach Deutschland gekommen sind. Die Mutter der Schwestern Oppong hatte laut deren Anwalt „seit Beginn ihres Aufenthaltes das Bestreben, ihre Kinder zu sich zu holen“. In den ersten Jahren aber sei das aussichtslos gewesen, da ihr eigener Aufenthalt nicht abgesichert und die ökonomischen Voraussetzungen für den Kindesnachzug nicht gegeben waren. Dass sie mehrere Jahre dafür benötigt hat, dies zu schaffen, geriet ihr zum entscheidenden Nachteil: Der Visumsantrag ihrer Töchter wurde mit der Begründung abgelehnt, dass Mutter und Töchter sich ohnehin voneinander entfremdet hätten.

Im Konflikt um die Kinder-Abschiebungen offenbart sich ein Selbstverständnis der Hamburger Ausländerbehörde, das immer wieder zu Protesten führt. Denn während die Anwälte der Kinder und Menschenrechtsorganisationen wie terre des hommes mit Begriffen wie dem „Kindeswohl“ und der UN-Kinderrechtskonvention argumentieren, beruft sich das Amt allein auf die Buchstaben des Ausländergesetzes. Sprecher Norbert Smekal spricht sogar davon, seine Behörde würde „Rechtsbeugung“ begehen, würde sie nicht die Familie auseinander reißen und die Mädchen und Jungen nach Ghana schicken.

Die Kinderrechtsorganisation terre des hommes dagegen sagt, eine Aufenthaltsbefugnis oder zumindest weitere Duldung aus humanitären Gründen sei „zwingend: Es bleibt ein Ermessensspielraum für Menschlichkeit“. Die kirchliche Beratungsstelle „Fluchtpunkt“ argumentiert, dass laut dem Grundgesetz Kinder nur von ihren Eltern getrennt werden dürfen, wenn das zu ihrem eigenen Wohle ist – und nirgends geschrieben steht, dass das Ausländerrecht höherrangig sei. Der Anwalt der Schwestern Gifty und Sylvia Oppong hat in seiner Petition an die Hamburgische Bürgerschaft zudem auf mehrere Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes hingewiesen, laut dem die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, einwanderungspolitische Belange regelmäßig zurückdränge – zumindest in den Fällen, in denen eine Lebens- und Erziehungsgemeinschaft zwischen dem Ausländer und seinen Kindern in der Bundesrepublik besteht.

Mit der Frage aber hat sich auch das Hamburgische OVG befasst, als es über das Schicksal der Schwestern Oppong entschieden hat – und ist zu einem anderen Ergebnis gelangt: Wollte man sich nach Einreise ohne Visum auf die zwischenzeitlich in der Bundesrepublik entstandenen familiären Bande berufen, entschied das Gericht, „so würde dies für den Ausländer einen zusätzlichen Anreiz bilden, sich über das Sichtvermerksverfahren hinwegzusetzen und sich hier illegal aufzuhalten“.