piwik no script img

Archiv-Artikel

„Autos, Beton und Mörtel reichen nicht“

Ist Japan mit Deutschland vergleichbar? Ökonom Heilemann: Wachstumsrückgang von 4 Prozent ist möglich

ULLRICH HEILEMANN, 64, Direktor des Instituts für Empirische Wirtschaftsforschung der Universität Leipzig.

taz: Herr Heilemann, ist der Absturz der japanischen Wirtschaft ein Vorbote dessen, was auch auf uns zukommt?

Ullrich Heilemann: Auf das Jahr gesehen erlebt Japan einen gewaltigen Einbruch. Auch für die deutsche Wirtschaft deuten die Zahlen für das vierte Quartal 2008 auf einen weitaus stärkeren Rückgang hin als bislang erwartet. Für 2009 ist bereits ein Rückgang des Wirtschaftswachstums um 3 Prozent realistisch. Selbst die Prognose eines Rückgangs von 4 Prozent rückt in den Bereich des Möglichen.

Aber die Regierung hat gegen die Krise das größte Konjunkturpaket aufgelegt, das es in Deutschland jemals gab.

In Prozent des Bruttosozialprodukts gilt das nur bedingt. Aber das Konjunkturprogramm wird an dieser Dynamik sehr wenig ändern, denn es ist, gemessen an der prognostizierten Entwicklung, zu klein dimensioniert und wird erst im späteren Verlauf des Jahres wirksam. In diesem Jahr wird es den Abschwung nur um 0,5 Prozent dämpfen. Das Paket wurde von der Entwicklung überholt, denn es ist vor allem eine Reaktion auf die Lage von November und Dezember. Seitdem hat sich die Situation etwa beim Welthandel verschlechtert. Das Programm trägt dem allerdings wenig Rechnung.

Was bedeutet das mittelfristig für die deutsche Politik und Wirtschaft?

Auf der politischen Ebene scheint die Krise in ihrem ganzen Ausmaß noch nicht angekommen zu sein. Den Debatten über weitere Steuerentlastungen bei gleichzeitiger Defizitrückführung und Schuldenbremse haftet etwas Gespenstisches an. Die Konjunkturaussichten lassen jedenfalls erst einmal Einbrüche bei den Steuereinnahmen erwarten und einen spürbaren Anstieg der Arbeitslosenquote. Es gibt bislang kaum Anzeichen dafür, dass sich das in den nächsten Monaten aufhellt.

Japan steckte schon in den 90er-Jahren in einer hartnäckigen Krise. Lässt sich daraus etwas lernen?

In Japan gab es eine ausgesprochen lange und tiefe Bankenkrise. Das ist in Deutschland zum Glück nicht der Fall. Wichtig ist: Die ersten Impulse sollten greifen! Bei den Impulsen muss eine Wirksamkeitsgrenze überschritten werden, und für Europa muss europaweit möglichst abgestimmt gehandelt werden.

Reagiert die Bundesregierung der Krise hinterher?

Dass alte Industrien wie die Autoindustrie sehr gefördert werden, war unter dem ersten Eindruck der Krise und angesichts der Bedeutung der Branche verständlich. Aber seit Herbst, spätestens aber jetzt, sollte man auch darüber nachdenken, ob man etwa die Investitionsförderung nicht fantasievoller gestalten könnte. Autos, Beton, Putz und Mörtel sollten für ein hochindustrialisiertes Land nicht das letzte Wort sein. INTERVIEW: TARIK AHMIA