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Archiv-Artikel

Mit Minus ins Jahr

Behinderter Lehrer muss 25 Prozent mehr arbeiten. Deutscher Lehrerverband unterstützt 29 Einzelklagen gegen Arbeitszeitmodell

Weil die Einschulung später stattfindet, gibt es bereits erste Stundenschulden

von KAIJA KUTTER

Für die 5. Klassen begann das Schuljahr erst drei Tage später. Schlecht für Lehrer Rainer Borgwardt. Weil er am Donnerstag und Freitag keine Schüler hatte, notierte die Leitung seines Billstedter Gymnasiums prompt die ersten 6 Minusstunden, die er später irgendwie abgelten muss. „Ich bin übermäßig sauer“, sagt der Lehrer für Biologie- und Erdkunde, der seit 27 Jahren anstrengende 5. und 6. Klassen unterrichtet und vor 13 Jahren einen schweren Hörsturz erlitt. Seither ist er zu 30 Prozent behindert. Doch dies berücksichtigt das neue Arbeitszeitmodell nicht. Statt bisher 24 muss der 53-Jährige künftig 29 Unterrichtsstunden geben und die Fachleitung für Erdkunde führen.

„Das sind 25 Prozent mehr Unterricht. Das ist mir einfach zu viel“, sagt Borgwardt. Gleich 33 Prozent mehr unterrichten muß der Sport- und Biologielehrer Wolfgang Dramsch vom Gymnasium Heidberg. Statt bisher 24 soll er künftig 32 Stunden geben. „Ich fürchte vor allem eine gesundheitliche Belastung. In der Turnhalle ist es so laut, das geht auf die Konzentration.“

Die beiden Pädagogen gehören zu einer Gruppe von 29 Einzelklägern, die gestern vom Deutschen Lehrerverband Hamburg (DLH) vorgestellt wurden. Der DLH-Vorsitzende Arno Becker hat dabei mehrere Fallgruppen konstruiert. So klagen 6 Lehrer, weil ihre Zeitfaktoren von Schulleitern willkürlich festgesetzt wurden. Becker: „Die Schulleiter sind völlig hilflos und machen dummes Zeug.“ So würden Funktionsstunden bis hin zur Klassenlehrertätigkeit nicht voll gewährt, sondern willkürlich als „Entlastungsstunden“ im Kollegium verteilt. Andererseits würde bei Minusstunden mit „spitzer Feder“ gerechnet.

Der Interessenverband wirft der Bildungsbehörde vor, die gesundheitlichen Gefahren zu ignorieren. Ein eilig einberufener „Runder Tisch Gesundheitsförderung“ habe da nur Alibicharakter, weil dafür keine Ressourcen zur Verfügung stehen. Um die gesundheitliche Belastung nachzuweisen, will der DLH seine Einzelkläger arbeitsmedizinisch betreuen und mit kleinen Sendern in den Unterricht schicken, die stressrelevante Daten ermitteln. 14 Pädagogen klagen gegen Klassenreisen (siehe rechts) und vier gegen die Art der Umrechnung der 46,5-Stunden-Woche für Teilzeitkräfte. Hier kommt es vor, dass junge Lehrer auf 20-Stunden-Stellen 23 Stunden unterrichten sollen.

Fünf Lehrer klagen gegen besagte Minusstunden. Denn verspätete Einschulung, so Becker, habe nicht der Lehrer zu verantworten, sondern die Schule –„gleich einem Störfall im Betrieb“.