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Misstrauen am Gorillaberg

Seit April sind im Zoo Hannover biometrische Einlasskontrollen installiert, die die Gesichter von 70.000 Jahreskarten-Inhabern speichern. Besuchern des Tierparks machen die Anlagen Angst: „Was tun die bloß mit den Daten?“

Der Datenschützer hat kein Problem: Die Anlage sei nicht zu beanstanden

aus HannoverKai Schöneberg

„Nä, wie is dat schön“, schunkelte einst Willy Millowitsch über „eene Besuch im Zoo“. Die sechsjährige Magdalena aus Neustadt kann derzeit nicht mitsingen. Ein paar Tränen sollen gekullert sein, als ihr vergangenes Wochenende der Eintritt in den Zoo Hannover verwehrt wurde.

Der Grund: die neuen Gesichtsscanner für Jahreskarteninhaber. Seit April sind am Eingang des Tierparks biometrische Anlagen installiert. Wer „Europas schönste Pflussperdlandschaft“, den Dschungelpalast oder den Gorillaberg besichtigen will, muss sich von einem Scanner abtasten lassen, der 1.700 Punkte im Gesicht erfasst. Wer nicht mitmachen will, muss zusätzlich zur Jahreskarte einen Ausweis vorlegen. Magdalena hatte aber nur einen Kinderausweis ohne Lichtbild dabei. Sie durfte erst in den „Erlebniszoo“, nachdem eine Mitarbeiterin ein Foto geknipst hatte. Dagegen hatte Vater Dirk Misslisch nichts.

Trotzdem machen ihm die neuen Scanner Angst: „Warum der Zoo bessere Eingangskontrollen hat als jede Bundeswehrkaserne oder jedes AKW, konnte mir dort bislang niemand einleuchtend erklären.“ Tatsächlich gibt es ähnliche Anlagen bereits an den Atommeilern in Brokdorf und Grundremmingen, das System der Bochumer Firma ZN läuft auch an den Berliner Flughäfen Schönefeld und Tegel. Dort werden Mitarbeitergesichter vor dem Zugang in den sicherheitsrelevanten Teil der Anlagen abgescannt. Aber warum in einem Zoo? Misslisch fragt: „Was tun die nur mit den Daten?“

„Nichts“, beteuert Zoo-Direktor Klaus-Michael Machens. Er versteht die ganze Aufregung nicht: „Wir werden immer in Verbindung mit einem Hochsicherheitstrakt gebracht – Quatsch.“ Die Anlagen seien „sicher“ – und sollten ausschließlich Kontrollen am Eingang erleichtern.

Der Zoo boomt: Die Zahl der Jahreskartenbesitzer habe sich seit 1994 von 5.700 auf jetzt fast 70.000 erhöht, erzählt Machens. Ohne die Gesichtsscanner würde es Riesenschlangen am Eingang geben. Machens: „Man muss sich nur vorstellen, was passiert, wenn hier in einer Stunde 1.000 Dauerkartenbesitzer rein wollen.“ Früher hätten seine Mitarbeiter aufwändig jedes Foto auf den Dauerkarten mit dem Besucher verglichen. Dann installierte der Zoo eine Anlage, die Fingerabdrücke identifizieren sollte. Weil die schlecht funktionierte, gibt es jetzt Gesichtsscanner. Machens: „Heute kümmern sich unsere Mitarbeiter mehr ums Begrüßen als um Kontrolle.“

Vor der Einführung der Scanner sei der Datenschutz viel eher gefährdet gewesen als heute. Machens: „Früher hatten wir Ordner mit den ausgedruckten Fotos der Zoobesucher, heute werden die Daten auf einem Server gespeichert, der nicht mit der Außenwelt verbunden ist.“

Allerdings steht Zoo-Besucher Misslisch nicht alleine da mit seinem Misstrauen: Bislang sind beim Tierpark 50 Beschwerden eingegangen. „Das ist eine völlig überzogene Maßnahme“, meint auch Hans-Albert Lennartz, innenpolitischer Sprecher der Grünen. „Ein Foto reicht, um identifiziert zu werden.“ Außerdem ist Lennartz „schleierhaft“, wie der Zoo, der zur Region Hannover gehört, bei angespannter Kassenlage öffentliche Mittel in das System stecken kann.

Wie teuer die Scanner waren, will Machens nicht verraten. Weiter verweist der Zoo-Direktor auf den Landesbeauftragten für Datenschutz, mit dem alles abgesprochen sei. Kernpunkt sei doch, ob Besucher gezwungen würden, die Big Brother-Prozedur über sich ergehen zu lassen, sagt ein Datenschützer beim Landesbeauftragten. Das würden sie jedoch nicht, weil der Eintritt auch per Ausweis möglich ist. Es handele sich also „um rein betriebswirtschaftliche Gründe für die Installation des Systems, die datenschutzrechtlich nicht zu bewerten sind.“

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