: Apachen bei Kaffee und Kuchen
Seit 65 Jahren ist Häuptling Tecumseh Wahlindianer. Im Apachen Club in Neuss mischt er indianische Liebhabereien mit seinem Groll auf Uncle Sam
AUS NEUSS LUTZ DEBUS
Hinter der Autobahnauffahrt führt ein Feldweg zwischen hohen Bäumen in die Vergangenheit. Zottelige Galloway-Rinder glotzen den Besucher an. Wigwams sind aufgebaut. Kinder werfen mit Tomahawks auf eine Zielscheibe. Das Lagerfeuer prasselt. Ein Benzinmäher kämpft sich durch das hohe Gras. Häuptling Tecumseh empfängt den Gast im Saloon. An den Wänden hängen Fotos von Indianern, von echten Indianern aus Amerika und solchen aus Deutschland. In einer Ecke steht ein verstimmtes Klavier. Daneben hängen die Fahnen etlicher Bundesstaaten der USA. Zwei kalbshohe Hunde traben quer durch den Schankraum.
Häuptling Tecumseh heißt auch Heribert Schillings, ist dann Rentner und 71 Jahre alt. 1963 gründete er mit Gleichgesinnten in Neuss den „Shawano Apachen Club“. Vor dreißig Jahren bekam der Verein von der Stadt das Grundstück zur Verfügung gestellt, das ihnen nun seit 30 Jahren als Reservat dient. Aber eigentlich begann alles mit seiner Tochter.
Sie war gerade fünf Jahre alt, da feierte ihr Kindergarten Karneval und sie ging als Indianerin. Aber am Aschermittwoch war für das Mädchen überhaupt noch nichts vorbei. Und dann erging es Heribert Schillings wie einem Vater, dessen Sohn sich eine elektrische Eisenbahn wünscht: Halb zog es ihn, halb sank er hin. Gemeinsam mit Tochter und Ehefrau fertigte er fortan mit Akribie indianische Kleidung, Werkzeug, Waffen. Verwandte und Nachbarn wurden auf das Hobby aufmerksam. Schnell bildete sich eine Gruppe von vier Familien, insgesamt 18 Personen, die alle ganzjährig Indianer spielten. Zuerst traf man sich in einem Partykeller, dann in einer nahen Gastwirtschaft. Erst mit dem Bau des Saloons an der Autobahn gab es kein Raumproblem mehr.
Doch Heribert Schillings Tochter war nur der Auslöser seiner latent schlummernden Leidenschaft. Stolz ist er, schon annähernd 65 Jahre Indianer zu sein. Auch bei ihm fing es an wie bei seiner Tochter, im rheinischen Karnevalstreiben. Seine Mutter kaufte dem kleinen Jungen im Kaufhaus einen Federschmuck, nähte ihm eine Fransenhose, verzierte mit Stickereien ein Hemd, bastelte ihm einen Tomahawk.
In dem Jahr, in dem die Vereinigten Staaten Deutschland den Krieg erklärten, gab der kleine Junge den Indianer und die Maskerade wurde noch gerade so akzeptiert. Selbst Adolf Hitler soll ja noch als Erwachsener begeistert die Bücher von Karl May gelesen haben. So genannte Amerikanische Musik wie Jazz, Blues oder Country und Western war hingegen verboten. Die weißen Amerikaner galten als Feinde, die Indianer den Rassenideologen als nicht arisch genug.
Die Hitlerjugend erlebte Heribert Schillings dann vor allem als paramilitärische Ausbildung. Seine Begeisterung für die Indianerkultur hatte dort keinen Platz. Statt die Augen, Ohren und die Nase richtig zu gebrauchen, um eine Fährte zu finden, orientierten sich die Kinder mit Kompass, Karte und Marschzahl im Gelände.
Erst nach 1945 konnte Schilling seinem Hobby ungestörter nachgehen. Bei den katholischen Pfadfindern entdeckte er die Liebe zur Natur. In Essen, Düsseldorf und Köln gab es Amerikahäuser. Dort konnte man Bücher über den Wilden Westen ausleihen. Doch schnell merkte der junge Mann, dass die USA kein wirkliches Interesse an ihrer Geschichte hatten. Kaum ein Besitzer eines Pontiacs wusste, dass sein Auto nach einem berühmten Häuptling benannt war. Die Indianerfilme aus dem Hollywood der Fünfziger Jahre gaben nur ein sehr verzerrtes Bild wieder. Indianer wurden dort meist als blutrünstige Monster abgebildet. Die bundesdeutschen Filme von Winnetou und Lederstrumpf wiederum zeichneten ein überidealisiertes Bild vom Roten Mann.
Die realistischsten Darstellungen erkannte Heribert Schillings in den wenigen Indianerfilmen aus DDR-Produktionen. Diese sieht er sich noch immer mit Begeisterung an. Vom berühmten und von der DEFA 1972 mit einem Film gewürdigten Häuptling Tecumseh leiht sich Heribert Schillings dann seinen Namen. Und der erste richtig gute US-amerikanische Indianerfilm ist seiner Meinung nach noch gar nicht so alt: Kevin Costners „Der mit dem Wolf tanzt“.
Vor dem Saloon hängen die Sterne und Streifen der USA verkehrt herum am Fahnenmast. Daneben weht die Fahne der Südstaaten. Die Südstaaten, so Schillings, werden mit dieser Fahne geehrt, weil die Apachen nun mal auf deren Territorium zu Hause sind. Nein, das sei keine politische Aussage. Schillings erinnert sich daran, wie ein schwarzer Busfahrer ihm bei einer seiner unzähligen USA-Reisen stolz sagte: „Früher durften wir nur auf den hinteren Bänken im Bus Platz nehmen. Heute fahre ich ganz Vorne.“ Trotz der Flagge der Konföderierten will Schillings nicht als Rassist gelten, eher als Hobbyhistoriker: „Nach der Abschaffung der Sklaverei veränderte sich für die Schwarzen im ganzen Land nicht viel. Ob sie auf den Plantagen im Süden oder den Fabriken im Norden ausgebeutet wurden, machte keinen großen Unterschied.“
Und warum das kopfstehende Sternenbanner? „Die wirklichen Amerikaner sind die Indianer. Die anderen sind doch meist zugewanderte Mafiosi“, meint Schilling und berichtet von den Navarro-Indianern. Diese wurden im Zweiten Weltkrieg in Indochina zur Verschlüsselung von Nachrichten eingesetzt. Neben jedem Funker saß ein Indianer. So wurden die Funksprüche über den Pazifik in Navarro gesendet. Diese seltene wie bildhafte Sprache konnte von Japanern nicht entschlüsselt werden. Makabere Ergänzung: Neben jedem Navarro saß ein GI, der seinen Nachbarn zu erschießen hatte, sobald die Gefahr bestanden hätte, dass dieser in japanische Gefangenschaft gerät. Die lebendige Codierungsmaschine durfte dem Feind nicht in die Hände fallen.
Eine der vielen Anekdoten von Heribert Schillings wirft ein anderes Licht auf seine Indianerbegeisterung. Irgendwo in Utah sprach er vor Jahren einen Indianer an, der am Straßenrand Schmuck verkaufte. Stolz zeigte der deutsche Indianer dem amerikanischen ein Foto, auf dem er mit Federschmuck zu sehen war. Doch statt ihn zu bewundern wurde sein Gesprächspartner wütend. Es sei eine Anmaßung, solch einen Kopfschmuck zu tragen, Apachen bekämen nur wegen besonderer Heldentaten eine Feder verliehen. Jemand aus einem fremden Land dürfe so etwas nicht tragen.
In den eskalierenden Streit mischte sich dann ein sehr alter Apache ein. In den Fünfziger Jahren sei der als GI in Süddeutschland gewesen. Seinem jüngeren Stammesangehörigen erzählte er von der Ernsthaftigkeit, mit der deutsche Indianervereine die Kultur der amerikanischen Ureinwohner würdigen und sehr viel mehr davon wissen als die weißen US-Amerikaner.
Aber was macht ein Indianerstamm in Neuss? Der Shawano Apachen Club organisiert Indianertreffen. Dann sind schon mal 250 Deutschindianer aus dem Bundesgebiet auf dem Gelände anzutreffen. Die rheinischen Indianer besuchen auch Kinder in Heimen, Kindergärten und Schulen. Sie nehmen an Karnevalsumzügen teil. Sie stehen bei den Karl-May-Festspielen in Elspe auf der Bühne. Und sie waren schon mal im niederländischen Kinderfernsehen zu bewundern.
Besonders liegt Heribert Schillings die Vermittlung indianischer Kultur am Herzen. Wenn er Kindern zeigen kann, wie man mit Lederbändern und Glasperlen traditionellen Schmuck herstellen kann, ist er in seinem Element. Kleine Kinder begegnen ihm mit einer Ehrfurcht, als wäre er der Weihnachtsmann. Von älteren Kindern bekommt er aber auch schon einmal zu hören: „Ey, Dein Messer ist doch gar nicht echt!“
Inzwischen sitzt der ganze Indianerstamm an der gedeckten Kaffeetafel. Es gibt Streuselkuchen. Schillings nennt seine Gruppe einen ethnologischen Verein. Wenn er mit seinen stahlblauen Augen den Horizont absucht, während er einer seiner vielen Indianergeschichten erzählt, wirkt er tatsächlich wie der alte Häuptling Tecumseh. Wenn nur die Rhabarbertorte vor seiner Nase nicht wäre – mit Schlagsahne.