jazzkolumne
: Schwarze und unschwarze Musik

Ted Panken meldet Zweifel an. Dass alles von langer Hand vorbereitet gewesen sein soll, Teil einer politischen Strategie war, mag er nicht glauben. Vielmehr hätten Albert Murray, Stanley Crouch und Wynton Marsalis damals eine Nische im kulturellen Mainstream entdeckt, besetzt und mit konservativen Inhalten voll gestopft, bis sie nach und nach mit Geld und Macht ausgestattet war. Aber passiv, nur Spielball, seien sie doch wirklich nicht gewesen.

Für die zwei CDs „Anthony Braxton – Andrew Cyrille Vol. 1 & Vol. 2“ (Intakt CD 088+089) hat Panken die Liner Notes geschrieben. Sie bestehen aus je einem Interview mit Cyrille und Braxton, ähnlich ausführlich wie die auf den beiden CDs dokumentierte Musik des Duos. Der Schlagzeuger Andrew Cyrille äußert sich relativ brav im Rahmen seiner unschätzbaren Erfahrung als Begleiter von Cecil Taylor. Der Multiinstrumentalist Braxton, Kritikermusiker par excellence, 1945 in Chicago geboren und seit Ende der Sechzigerjahre aktiv mit dem schwarzen Chicagoer Musikerkollektiv AACM assoziiert, das sich besonders für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen von kreativen afroamerikanischen Musikern engagiert hat, holt weit aus. Sein Statement zur gegenwärtigen Lage der schwarzen Musik riecht allerdings nach Verschwörung.

Er spricht von „Southern Strategy“ und zeichnet die Inthronisierung eines Wynton Marsalis im New York der frühen Achtziger als einen Generalangriff gegen alle kreativen Kräfte, die sich von den Machern des Marktes nichts vorschreiben lassen wollten. Zu dem, was nun der schwarze Schriftsteller Albert Murray oder der Publizist Stanley Crouch als wesentliche Konstanten für einen Kanon afroamerikanischer Musik bezeichneten, gehörten Blues und Swing und die Ansicht, dass die Evolution des Jazz ein rein schwarzes Ding sei. Diese Definition habe viele kreative Musiker von vornherein ausgeschlossen, namentlich Anthony Braxton und seinen von Stockhausen und Cage beeinflussten Kompositionsstil. Er sei wohl nicht schwarz genug, konstatiert Braxton. Crouch spreche aber von der besonderen Erfahrung einer afroamerikanischen Südstaaten-Community, wie sie von schwarzen intellektuellen Südstaatlern vermittelt und definiert wurde. Er liebe New Orleans, sagt Braxton, aber für ihn seien große Erfinder des Jazz wie King Oliver und Louis Armstrong erst im Norden richtig kreativ geworden.

Die Gefahr lauert, laut Braxton, im Detail. Denn wer am New Yorker Lincoln Center sage, Jazz beginne mit Louis Armstrong und ende Mitte der Sechzigerjahre, greife an. Für Braxton kommt damit ein typisches Symptom für den heutigen Zustand des schwarzen Amerika zum Ausdruck. Der schwarze Rassismus sei ein Hauptproblem der afro-amerikanischen Community, das Exklusivitätsdenken behindere jeden gesellschaftlichen Fortschritt.

Braxton gehört einer Generation an, die die Welt verändern wollte. Doch selbst deren sich eher bescheiden anfühlende Vision einer neuen universalen Musik, die von afrikanischen, asiatischen und europäischen Amerikanern, Männer und Frauen, geschaffen werden sollte, ist gescheitert. Und zwar, wie Braxton hinzufügt, nicht an den Konservativen. Er beschuldigt die Black Panther, die Feministinnen, die Linke, die Identitätspolitiker: „Wir wurden niedergemetzelt“, sagt er, von Liberalen und gewissen Afroamerikanern. Die Frage sei, wer bekomme Unterstützung, wer wird unterdrückt.

Doch spätestens hier schließen sich die Kreise. Denn wenn sich Braxton darüber beschwert, dass in der New York Times zwar Artikel über kleinkriminelle Rapper, die in verschiedenen Tonlagen „Motherfucker“ sagen können und dafür viel Geld bekommen, zu lesen sind, aber nichts über Cecil Taylor oder Bill Dixon zu erfahren sei, dann kann er sich eigentlich mit dem von ihm gescholtenen Stanley Crouch die Hände reichen. Der warnte kürzlich erst in seiner Eigenschaft als politischer Kommentator der New York Daily News seine Leser, dass besonders die Ignoranz gegenüber der afroamerikanischen Tradition eine Spezialität der heutigen Rapper sei. Schwarzes Denken nach der Sklaverei, so Crouch, drehe sich um Erziehung, Ausbildung und seriöse Selbstentwicklung. Negroes, die mit einem Mikrofon in der Hand sexistische Hasstiraden loslassen, würden vielmehr etwas gänzlich Unschwarzes tun.

CHRISTIAN BROECKING