: Wer braucht schon Schlaf?
Längere Wochenarbeitszeit, weniger Urlaub, den Kündigungsschutz streichen: Das sind nur die aktuellen Vorschläge der Politik zur Reform der deutschen Wirtschaft. Die künftigen sind noch besser
VON STEFAN KUZMANY
Deutschland im verregneten Juli 2004. Nach der Einigung auf das millionenschwere Sparpaket bei DaimlerChrysler wird der Ruf nach einer generellen Verlängerung der Arbeitszeit in ganz Deutschland immer lauter. Der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) fordert eine allgemeine Rückkehr zur 40-Stunden-Woche. Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) appelliert an die Arbeitnehmervertreter, aus dem Thema Arbeitszeit „kein Dogma“ zu machen. Friedrich Merz (CDU) hat noch eine bessere Idee: „In der Schweiz gibt es gar keinen Kündigungsschutz – und Vollbeschäftigung.“ Also weg mit dem Hinauswurfhindernis: „Wenn wir damit nachweisen, dass weniger Schutz zu mehr Beschäftigung führt, können wir eines Tages ganz auf den besonderen Kündigungsschutz verzichten“, sagte Merz. Doch die Debatte hat gerade erst angefangen.
Das Modell Japan
8. August 2004. In einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung unterbreitet Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement einen gewagten Vorschlag. Er appelliert an die Arbeitnehmervertreter, aus dem Thema Feierabend „kein Dogma“ zu machen: „Die Japaner gehen gerne am Abend noch mit dem Chef singen und trinken.“ Das könne auch Deutschland „wieder flott und munter“ machen.
Das Modell Schily
10. August 2004. Innenminister Otto Schily (SPD) schaltet sich in die Debatte um Arbeitszeit und Arbeitnehmerrechte ein. Er fordert „Arbeitscamps in Nordafrika“, die dort anstelle der „sowieso bald nicht mehr benötigten“ Ferienclubs entstehen sollten, sagt Schily im Deutschlandfunk. Der bayerische Innenminister Günther Beckstein (CSU) schließt sich Schilys Forderung an. Kritiker beschimpft Schily mit den Worten: „Die denken mit den Füßen.“
Das Modell Japan II
15. August 2004. Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt verweist in der Sendung „Sabine Christiansen“ auf die „vorbildliche Arbeitsmoral der Japaner“. Diese hätten zwar offiziell ähnlich viele Urlaubstage wie die Deutschen – nähmen sich aber nur maximal eine Woche pro Jahr. Hundt: „Wenn wir damit nachweisen, dass weniger Urlaub zu mehr Beschäftigung führt, können wir eines Tages ganz auf den Urlaub verzichten.“
Das Modell Nordkorea
16. August 2004. Im aktuellen Focus meldet sich FDP-Chef Guido Westerwelle in Sachen Standort Deutschland zu Wort: „Die Zukunft unserer Wirtschaft liegt in der Hochtechnologie.“ Er empfehle, den Blick auf die aufstrebende Nation Nordkorea zu richten: „Dort verrichten hoch motivierte Techniker qualifizierte Tätigkeiten schon für drei Dollar in der Stunde.“ Die „Raffgier“ der hiesigen Arbeitnehmerschaft hingegen sei „ganz und gar unerträglich“.
Das „historische Modell“
20. August 2004. In der FAZ veröffentlicht Angela Merkel einen Grundsatzaufsatz zum Thema „Deutschland nach vorn im Blick zurück“, der gleichzeitig in der Emma abgedruckt wird. Darin fordert sie eine Rückbesinnung auf die Werte früherer Generationen. Kündigungsschutz, 35-Stunden-Woche und Pinkelpausen seien diesen völlig fremd gewesen. Und dennoch hätten diese Menschen unseren Sozialstaat aufgebaut und vorangebracht. Konkret schlägt Merkel vor, den Mutterschutz aus Kostengründen komplett zu streichen: „Was die Trümmerfrauen ganz ohne den verzärtelten Baby-Urlaub geleistet haben, sollte uns ein Vorbild sein.“
Das Modell Argentinien
23. August 2004. Am Rande eines Fototermins mit der Zeitschrift Gala äußert sich Bundespräsident Horst Köhler zur Wirtschaftsproblematik seines geliebten Vaterlands: „Wir müssen immer fragen: was können wir, was können wir nicht, dabei aber offen bleiben. Gott schütze unser Land“, so das Staatsoberhaupt. Er habe als IWF-Präsident langjährige Erfahrungen mit derartigen Krisen gesammelt. Sein ausgleichender Vorschlag: „Ich liebe dieses Land. Wir können die Wirtschaft ankurbeln, ohne die Löhne zu senken. Die Währung leicht abwerten, und schon wird alles billiger.“ In Argentinien habe das „ja auch ganz gut geklappt“.
Das Modell Rind
29. August 2004. Ungewöhnlicherweise legt die Moderatorin Sabine Christiansen in ihrer Sendung „Christiansen“ zum heutigen Thema „Deutschland vor dem Untergang – verschlafen wir die Zukunft?“ eine eigene Idee zur Bewältigung der Wirtschaftskrise vor. „Die Deutschen schlafen zu lange. Eine Kuh beispielsweise kommt mit drei bis vier Stunden Schlaf am Tag aus. Ich auch“, referiert die Talklady in ihrem Eröffnungsmonolog. Der anwesende BDI-Präsident Michael Rogowski pflichtet bei: „Wenn wir damit nachweisen, dass weniger Schlaf zu mehr Beschäftigung führt, können wir eines Tages ganz auf den Nachtschlaf verzichten.“