: Der Projektionist
Ralph Kothe ist der Wasserträger der Kinokunst. Unsichtbar, unverzichtbar
Im Idealfall bleiben er und seine Arbeit unbemerkt. Wenn man im Kino daran erinnert wird, dass da ein Vorführer an einem Projektor arbeitet, dann nur, wenn etwas schiefgeht: verrutschter Bildstrich, vertauschte Akte, Filmriss. In diesem Sinne ist Ralph Kothe einer der Unscheinbarsten seines Gewerbes. Denn wenn bei ihm wirklich mal ein Film aus dem Ruder läuft, ist er der Erste (und oft auch der Einzige), der den Fehler bemerkt und umgehend behebt.
Zehn Jahre lang sorgte Kothe im „Kino 46“ für die eindeutig beste Filmprojektion der Stadt. Durch das Bremer Kommunalkino fand er auch seine Berufung, bei der er technische Begabung mit großer Liebe zum Kino verbinden konnte. Um der zu frönen, fuhr er als Jugendlicher mit dem Mofa von Bremen-Nord bis ins „Atlantis“ in der Böttcherstraße. Dort, in den 70 Jahren – den goldenen Jahren der Programmkinos – wurde jeden Tag ein anderer Filmkunst-Klassiker gezeigt.
Im Bürgerhaus Vegesack war er dann für die Raumtechnik zuständig, Mitte der 80er Jahre baten ihn die Macher des Kommunalkinos, bei ihren wöchentlichen Vorführungen doch auch noch den Film mit einzulegen und abzuspulen. Damals hat er Blut geleckt.
Der Autodidakt sah den anderen Vorführern der Stadt die kleinen Tricks ab, studierte die Fachliteratur und war so Anfang der 90er bereit für den Umzug des Kommunalkinos nach Walle, wo er bis zum Jahr 2000 für die beispielhafte Projektion sorgte. Und dies, obwohl dort bei den vielen unterschiedlichen gezeigten Filmformaten und Kopien in oft abenteuerlichem Zustand die Chancen für Patzer viel größer waren und sind als in anderen Kinos.
Gerade die Herausforderungen hätten ihn gelockt, sagt Kothe. „Wochenlang viermal am Tag immer den gleichen Film durchziehen, macht keinen Spaß.“ Deshalb begann er sehr früh, sich als Projektionist ein eigenes Gewerbe aufzubauen. Grundstock dafür waren Projektoren aus der ehemaligen DDR, in der es ein weitverzweigtes System von mobilen Kinos gab, deren Geräte nach dem Mauerfall günstig zum Verkauf standen.
1993 baute Kothe den Saal der Oldenburger „Kulturetage“ für das Filmfest um. Die seltsame Spezialkonstruktion, bei der das Publikum schon mal das Bild verdeckt, weil der Projektor unter der Zuschauertribüne aufgebaut ist, wird Anfang September zusammen mit dem Filmfest ihren zehnten Geburtstag feiern. Auch das inzwischen beliebte Open-Air Kino beim „Haus am Walde“ ist Kothes Werk, der mit „Kino mobil“ längst eine Ich AG gegründet hat.
Selber Filme ansehen kann Kothe beim Vorführen kaum. Als guter Handwerker hat er immer ein Auge auf die Arbeit, achtet auf den Bildzähler oder stellt den Ton ein wenig nach. Aber: In den Film „fallen lassen“ und ihn wirklich genießen, sei nicht drin. Nur zwei Filme hat er von vorne bis hinten vom Projektionsraum aus gesehen: Pasolinis „120 Tage von Sodom“ und Kubricks „Clockwork Orange“ – die konnte er nur mit der Distanz, die der Arbeitsplatz bietet, ertragen.
Nach 14 Jahren im Metier sucht Kothe nach neuen Herausforderungen. Und hat das Vorführen von Stummfilmen für sich entdeckt – die live, möglichst von einem Orchester begleitet werden. Dafür konstruierte er einen Projektor, an dem man stufenlos die Bildgeschwindigkeit einstellen kann. Denn Stummfilme müssen mit weniger als den üblichen 24 Bildern pro Sekunde gespielt werden. Die beteiligten Dirigenten seien „extrem empfindlich“, erzählt Kothe. Schon Unterschiede wie der zwischen 18 und 18 ein Viertel Bilder pro Sekunde machen den Musikern die sauberen Einsätze kaputt.
Aber Kothe liebt ja knifflige Aufgaben. Lange kann er etwa von der Vorführung von Fassbinders „Lili Marleen“ im Bremerhavener Hafen erzählen, bei dem die Leinwand an einer am Kai vertäuten Fähre hing. Während der Vorführung vor 3.500 Zuschauern mussten zwei Meter Tiedenhub ausgeglichen werden, also wurde der Projektor während des Films ganz langsam um zwei Meter geneigt.
Ein weiteres Highlight im Leben eines Vorführers: Die Projektion von Murnaus Stummfilm „Nosferatu“ in Wismar. Just in der Kirche, in der der Film damals gedreht wurde. Auch hier wäre des Vampirs schrecklicher Schatten ohne seine Arbeit nicht auf die Leinwand gefallen, und auch hier blieb er selber als ein Wasserträger des Kinos unsichtbar, denn „die im Schatten, sieht man nicht“. Wilfried Hippen