: Juristen: EU-Referendum wäre kein Problem
In der Politik gibt es eine ungewöhnliche Koalition für eine Volksabstimmung über die EU-Verfassung: von Edmund Stoiber (CSU) bis Reinhard Bütikofer (Grüne). Doch könnte das Grundgesetz schnell genug geändert werden?
FREIBURG taz ■ Es ist noch nicht zu spät. Wenn über die EU-Verfassung ein Volksentscheid durchgeführt werden soll, könnten binnen relativ kurzer Zeit dazu die Grundlagen geschaffen werden. Im Wesentlichen gibt es dazu vier Wege.
Nach bisher herrschender juristischer Auffassung sieht das Grundgesetz Volksabstimmungen auf Bundesebene nur zur Neugliederung von Bundesländern vor. Die gründlichste Vorgehensweise wäre daher die generelle Einführung von Volksabstimmungen per Grundgesetzänderung. Eine Verfassungsänderung benötigt eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag und Bundesrat. Dies könnte innerhalb weniger Wochen umgesetzt werden, zumal Vorschläge von Rot-Grün bereits vorliegen. Angesichts der Tragweite der Reform wäre allerdings eine etwas gründlichere Diskussion angebracht.
Möglich wäre auch eine spezielle Grundgesetzänderung. Hier würde nur für grundlegende Integrationsschritte auf EU-Ebene eine Volksabstimmung vorgesehen. Diese Regelung könnte in Artikel 23 des Grundgesetzes aufgenommen werden, wo schon seit 1993 für weitgehende Änderungen der EU-Verträge eine Zweidrittelzustimmung in Bundestag und Bundesrat gefordert wird.
Viele Plebiszit-Befürworter halten eine solche auf die EU fixierte Lösung zwar für halbherzig, doch das sind politische Argumente. Juristisch gibt es hier kein Alles-oder-nichts-Prinzip. Die Verfassung könnte auch vorsehen, dass zum Beispiel nur Gesetze über den Aal-Fang einem Volksentscheid unterworfen werden. Das Grundgesetz gibt die Regeln vor, sein Inhalt unterliegt aber kaum Restriktionen. Auch eine Volksabstimmung für die EU-Verfassung müsste mit Zweidrittelmehrheit in Bundestag und -rat im Grundgesetz verankert werden.
Eine Minderheit in der Rechtswissenschaft geht allerdings davon aus, dass Volksabstimmungen auch ohne Grundgesetzänderung eingeführt werden könnten. Sie beruft sich auf Artikel 20 des Grundgesetzes, wo es heißt, die Staatsgewalt werde vom Volke „durch Wahlen und Abstimmungen“ ausgeübt. Volksabstimmungen könnten demnach per einfachem Gesetz eingeführt werden, der Gesetzgeber habe dies bisher nur versäumt. So könnten Plebiszite mit einfacher Mehrheit eingeführt werden – und zwar wiederum generell oder nur für die EU-Verfassung. In den letzten Wochen hat diese Position auffällig viel Zulauf erhalten.
Ein entsprechendes Vorgehen wäre dennoch ziemlich riskant. Würde eine Volksabstimmung ohne Grundgesetzänderung durchgeführt, könnte das Bundesverfassungsgericht angerufen werden. Klagen könnte zum Beispiel jedes Bundesland. Ob auch einzelne BürgerInnen Verfassungsbeschwerde einlegen könnten, ist umstritten. Wie Karlsruhe entscheiden würde, ist offen, allerdings hat sich das Verfassungsgericht in den letzten Jahrzehnten eher kritisch zu Volksabstimmungen geäußert. Zumindest würde das Gericht wohl eine einstweilige Anordnung erlassen, die eine Volksabstimmung stoppt, bis Karlsruhe entschieden hat. Der vermeintlich einfachste Weg wäre also wohl der langwierigste.
Denkbar ist im Übrigen noch, dass Plebiszite von der EU vorgeschrieben werden, um die Akzeptanz für die Verfassung zu erhöhen. Darauf müssten sich allerdings zunächst die Regierungschefs der 25 EU-Staaten einigen. Außerdem müsste die Verfahrensregelung auch national ratifiziert werden. Das heißt: Auch hier müssten Bundestag und Bundesrat zustimmen, vermutlich sogar mit Zweidrittelmehrheit. Das Grundgesetz müsste hierbei nicht geändert werden, da EU-Recht Vorrang hat, doch wäre dieser Weg zum EU-Plebiszit letztlich nicht einfacher. CHRISTIAN RATH