Über die Vorzüge des Siezens

Die Journalistin Johanna Adorján stellt ihr erstes Buch vor. „Eine exklusive Liebe“ erzählt aus dem Leben ihrer Großeltern, ungarischen Juden, die sich gemeinsam das Leben nahmen. Der Roman ist auch die Suche nach der eigenen Geschichte

VON DANIELA ZINSER

Es hat etwas sympathisch Offenes, wie Johanna Adorján mit Moderatorin Luzia Braun spricht. Ein Geplauder unter Freundinnen: Sie wollte immer schon mal ein Buch schreiben, sagt Johanna Adorján. Nur worüber? Da ist doch die Geschichte deiner Großeltern, sagte eine Freundin. Ungarische Juden, die den Holocaust überlebt haben und sich im Alter gemeinsam umgebrachten, weil sie nicht ohne einander sein wollten. Das hat die Enkelin immer irgendwie beschäftigt. Das ist die Geschichte geworden. So einfach können Erklärungen sein.

Johanna Adorján, die Betonung auf dem ersten A, versinkt fast ein bisschen im kantigen orangefarbenen Sessel, den sie hin und wieder ein wenig nach links und rechts dreht. Sie trägt rote Pumps und roten Lippenstift, sie schürzt die Lippen an manchen Stellen, wenn sie über ihr Buch spricht, und legt dann den Kopf schief. Neben ihr auf dem Podium setzt Moderatorin Luzia Braun zum Plausch an.

„Eine exklusive Liebe“ ist das erste Buch von Johanna Adorján, die als Feuilletonredakteurin der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung bislang über die Bücher der anderen schrieb. Nächste Woche erscheint ihr Roman, in der FAZ wird er derzeit vorabgedruckt, das Hörbuch ist schon eingesprochen. Am Mittwochabend nun hat die Autorin ihr Buch in der Bertelsmann-Repräsentanz Unter den Linden 1 vorgestellt, vor vom Luchterhand Verlag geladenen Gästen, Freunden, Journalisten.

Heike Makatsch, Barbara Schöneberger und Nora Tschirner sind da, Johanna Adorján liest die ersten Seiten, stellt Vera und István vor, ihre Großeltern, die so extravagant waren, Kettenraucher, immer in einer Wolke aus Parfüm. Er Arzt, sie elf Jahre jünger, eine Schönheit wie Liz Taylor. Nach der Flucht aus Budapest lebten sie in Kopenhagen, als er im Alter schwerkrank wurde, beschlossen sie, sich gemeinsam das Leben zu nehmen, am 13. Oktober 1991.

Diesen Tag erzählt Johanna Adorján in ihrem Buch nach, trägt ihn zusammen aus Schriftstücken, Erzählungen von Menschen, die mit ihren Großeltern zu tun hatten, schneidet Rückblenden dazwischen, die vom KZ-Aufenthalt des Großvaters erzählen, vom großbürgerlichen Leben in Budapest später.

Zwanzig Jahre war Johanna Adorján alt, als ihre Großeltern sich umbrachten. Die Familie hätte es geahnt, erzählt sie. Ein Schock war es dann doch. „Ich habe die ersten Jahre immer geweint aus Versehen, wenn ich jemandem davon erzählt habe.“ Sechzehn Jahre später hat Johanna Adorján begonnen zu recherchieren. Über den Holocaust hatten ihre Großeltern nie reden wollen.

Ihre Enkelin aber machte sich auf die Suche nach der Geschichte, sie besuchte Freundinnen der Großmutter in New York, Paris, Israel. Sie fühlte sich auf sicherem Terrain: Recherche, ein Ziel, ein Abgabetermin. Auch die Freundinnen wollten über vieles nicht reden, doch auch Lücken erzählen viel, sagt Johanna Adorján. „Irgendwie war ich mit allem zufrieden, was ich bekommen habe.“

Sie spricht über die Faszination, die von diesen Frauen ausgeht: über neunzig, aber mit neonrotem Lippenstift, der auch mal auf den Zähnen klebt, auffällig angezogen und mit starkem, knorrigem Charakter. „Vielleicht bringen Katastrophen stärkere Frauen hervor.“ Johanna Adorján sagt viele solcher Sätze, die klar urteilen, einordnen und dabei doch alles offenhalten. Sie ist eine exakte Beobachterin, viele Stellen in ihrem Roman sind ebenso einfühlsam wie heiter.

In diesem Ton läuft auch der größte Teil der Unterhaltung mit Luzia Braun, ein Frauenplausch. Ob sie nicht ein wenig neidisch sei auf die Großmutter, die so einen Mann hatte, so geliebt hatte, fragt die Moderatorin. „Ja, ich beneide das, mit 20 einen 31-jährigen Chirurgen gefunden zu haben. Das konnte ich nicht“, sagt die Autorin und preist die Vorzüge des Siezens in Beziehungen, das ihre Großeltern zeitlebens gepflegt hatten. Es zanke sich viel umständlicher.

Sie führt die paar Sätze vor, die sie auf Ungarisch sagen kann, adressiert vornehmlich an den Hund der Großeltern, der nach deren Tod bei Johanna Adorjáns Familie in München lebte: Wo ist die Katze, was gibt es zu essen, pinkeln. Die Sätze kommen auch im Buch vor, sie liest sich später noch einmal vor, ahmt auch Dänisch nach und Österreichisch, doch das klingt eher wie Schwäbisch. Johanna Adorján entschuldigt sich dafür.

Das Buch „Final Exit“, nach dem ihre Großeltern ihren Selbstmord planten, hat die Autorin sich bei Amazon bestellt und nach langem Zögern gelesen. „Wenn tatsächlich jemand vorhat, sich umzubringen, ist das ein empfehlenswertes Buch.“ Es half ihr beim Schreiben nachzuempfinden, was die Großeltern wohl getan haben an diesem letzten Tag, in was für einer Laune sie waren, erzählt sie.

Ganz am Ende der zweistündigen Lesung die unvermeidliche Frage, was das alles eigentlich mit Johanna Adorján zu tun hat, die in Stockholm geboren und in München aufgewachsen ist, die einen dänischen Pass besitzt. Die Mutter ist Deutsche, der Vater in Ungarn geborener jüdischer Däne. Das Schreiben des Buches war auch eine Suche nach der eigenen Identität, sagt Johanna Adorján. „Vorher hatte ich immer das Gefühl: Ich bin so gar nichts. Jetzt denke ich, ich bin halt alles.“ Es lässt sich viel verstecken hinter sympathischer Offenheit.