: Weniger weiß ist heiß
Mit mehr Neumünster im Wolfsburger Spiel sind 0:1 Niederlagen wie gegen 1860 künftig undenkbar
München taz ■ Um herauszufinden, wie sehr der VfL Wolfsburg wirklich jemand anders sein möchte als er ist, wie groß und verzehrend dieses Begehren über die Jahre geworden ist, wie sehr dabei die Identität vom Wunsch bestimmt ist und nicht von der Realität, muss man lediglich mal einen kurzen Blick auf die Schuhe von Abwehrchef Stefan Schnoor werfen. Sie sind weiß. Weiß! Stefan Schnoor spielte beim 0:1 (0:0) des VfL beim TSV 1860 München am Samstag in weißen Schuhen.
Die Künstler tragen weiße Schuhe, die Strategen, die Zauberer. Nichts gegen Stefan Schnoor: Er ist ein guter Fußballer, ein ordentlicher Abwehrspieler, der – ganz norddeutsche Klarheit – hinten aufräumt und sich über die Jahre eine gewisse Lässigkeit angewöhnt hat, die ihm gut steht. Schnoor kommt aus Neumünster, dieser, sagen wir, schmucklosen Stadt, gebettet an die Autobahn von Hamburg nach Kiel und Flensburg. Das muss nichts heißen, man kann aus schlimmen Käffern kommen und den schönsten Fußball spielen, aber Schnoor spielt Neumünster. Nützlich, aufgeräumt. Um es kurz zu machen: Er sollte keine weißen Schuhe tragen. Hat er gar nicht nötig. Er war mit seiner Neumünsteraner Interpretation des Fußballs der beste Wolfsburger auf dem Platz.
Das lag daran, dass die etatmäßigen Weißträger, allen voran Andres D‘Alessandro, sich eine Kunstpause gönnten nach dem Rausch gegen den Hamburger SV aus der Vorwoche (5:1). Der Argentinier verbrachte lediglich 39 Minuten auf dem Platz, dann verabschiedete er sich. Das ging so: D‘Alessandro beschwerte sich bei Schiedsrichter Lutz Wagner; gelb. D‘Alessandro applaudierte Schiedsrichter Lutz Wagner zur Karte; gelb-rot. Alles innerhalb einer Minute. In diesem Moment hatten die Wolfsburger das Spiel verloren. Damit das auch so in den Ergebnisbüchern der Bundesliga verzeichnet werden kann, brauchte es bloß noch einen 20-m-Schuss von Danny Schwarz, ein Kracher, an den Pfosten und von dort ins Tor, unhaltbar (59.).
Nun hätte man die 22.000 Zuschauer fairerweise erlösen können von einem schwachen Spiel, stattdessen gab es noch ein wenig Spektakel. Der Sechziger Andreas Görlitz sprintete über den gesamten Platz, verfolgt von Sven Müller, dem es irgendwann zu dumm wurde, dem schnellen Görlitz so hinterherzuhecheln, weshalb er ihn kurzerhand foulte. Umgehend sah er die gelbe Karte, woraufhin der Wolfsburger Maik Franz sicherheitshalber Görlitz umstieß. Es hub ein großer Tumult an, eine so genannte Rudelbildung, in deren Verlauf jeder jeden ein wenig schubste und an deren prosaischem Ende Franz und der eben eingewechselte Sechziger Daniel Borimirov die rote Karte sahen (63.).
Borimirov, das mag den Wolfsburgern als Warnung gelten, trägt ebenfalls seit geraumer Zeit weiße Schuhe. Er ist Ersatzspieler. Christian Zaschke