: Nam Thos letzte Ernte
AUS MONG PAWK JUTTA LIETSCH
An einem ganz normalen Markttag in Mong Pawk warten zehn Opiumhändler auf ihre Kunden. Unauffällig platziert zwischen den Ständen der Chinesen, die hier Kleider, Emailleschüsseln und Plastiktaschen verhökern, wirken sie wie geschäftstüchtige Großmütter und umtriebige Familienväter. Eine simple Handwaage, ein Stapel Silbermünzen und einige Geldscheine liegen auf dem Tisch einer Händlerin in schlichtem blauem Hosenanzug: Den Korb mit Opium hat sie fest zwischen die Beine geklemmt. Mit unruhigem Blick hält sie Ausschau nach Bäuerinnen in den bunten Trachten, die stundenlang aus ihren Dörfern heruntergewandert sind, um auf dem Markt von Mong Pawk ihre Ernte zu verkaufen.
Eine Mutter, die von ihren beiden Töchtern begleitet wird, zieht zögernd einen Schatz hervor, den sie in ihren Kleidern versteckt gehalten hat: eine braune Opiumkugel, groß wie ein Tennisball. Die Händlerin legt die Kugel in eine Waagschale und stapelt Silberrupien in die andere. Misstrauisch kontrolliert die Bäuerin jede einzelne der hundertjährigen Münzen aus britischer Kolonialzeit, die noch heute als Opiumgewichte dienen.
Umgerechnet 179 Dollar pro Kilo – das ist der Durchschnittspreis heute, die Bäuerin kassiert elf Silbermünzen und einen Geldschein. Das Opium wird die Marktfrau an einen der Zwischenhändler weiterverkaufen, die im Auftrag der Drogenbosse immer gegen Ende des Markttags erscheinen.
Mong Pawk liegt im Osten Birmas, im Herzen des Goldenen Dreiecks, das sich bis China, Laos und Thailand erstreckt. Drogenhandel ist hier so normal wie Feldarbeit. Seit Generationen hat Opium das Schicksal der Bewohner dieser Gegend bestimmt – als Handelsware und als Medizin. Und doch trügt die gelassene Stimmung auf dem Markt. Eine Zeitenwende steht bevor: Die „United Wa State Party“, die in diesem Zipfel des birmesischen Vielvölkerstaats herrscht, will den Anbau verbieten.
Auf dem Sofa des Hotel-Konferenzraums von Pangsan, dem Hauptquartier der „Sonderregion 2“, wie die Wa-Region an der Grenze zu China offiziell heißt, sitzt Vizegeneralsekretär Xiao Min-liang. „Am 26. Juni 2005, dem ‚Welt-Anti-Drogen-Tag‘, werden wir unsere Region offiziell für drogenfrei erklären!“, sagt er im Brustton der Überzeugung.
Xiao ist ein schmaler Mann von Anfang sechzig mit schwarz getöntem Haar. Seit frühester Jugend hat er in einer der zahlreichen ethnischen Aufstandsarmeen gegen die birmesische Zentralregierung Krieg geführt, bis er und seine Kampfgefährten 1989 einen Waffenstillstand mit der Junta in Rangun schlossen. Die Uniform mit dem Wahrzeichen der Wa – einer Sonne über dem heiligen Berg Kong Loi Mu – hat er mit einer schlichten grauen Windjacke getauscht.
Zur Begründung der wundersamen Wandlung der Wa erklärt er: „Das Opium hat unser Volk arm und rückstandig gemacht.“ Diese Einsicht, so gibt er freimütig zu, sei auch dem Druck der lange eng verbündeten Chinesen zu verdanken. Im großen Nachbarland wächst die Drogenkriminalität – und mir ihr der Wunsch, den Opiumfluss aus dem Goldenen Dreieck stoppen zu wollen.
Die Quelle dieses Flusses kann man einige Autostunden entfernt besichtigen. Nam Tho streift sanft mit ihren Frindern drüber – über eine pflaumengroße Mohnkapsel. Die junge Bäuerin ritzt die hellgrüne Haut mit ihrem dreizackigen Messer ein, bis milchiger Harz austritt. An den Schnittstellen der nächsten Pflanze hat sich die klebrige Masse bereits bräunlich verfärbt. Sie streift die Messerspitze Opium in ein kleines Metallgefäß. Ab und zu reicht sie ihrem Sohn, den sie mit einem Tuch auf ihren Rücken gebunden hat, eine abgeerntete Kapsel. Er bricht sie auf, streut sich die Mohnsamen in den Mund.
Nam Tho ist Opiumbäuerin, tausende gibt es im Goldenen Dreieck, dieser Berglandschaft von atemberaubender Schönheit. Rauch steigt von frisch brandgerodeten Hängen auf und zieht im fahlen Schimmer unter das Blau des Himmels. Weiß und violett blüht der Mohn auf versteckten Feldern zwischen tropisch grünen Büschen, Bambushainen und rotblättrigen Kapokbäumen.
Solange die zwanzigjährige Nam Tho denken kann, haben die Frauen ihres Dorfes Nam Kwi Opium angebaut. Umgerechnet 95 Dollar hat sie im vergangenen Jahr für die Ernte ihres kleines Feldes eingefahren, ein Acker, der gerade halb so groß ist wie ein Fußballfeld. Das reichte, um ein Rind, zwei Ferkel, einige Reissäcke, Salz und Öl zu kaufen. Ihr Mann ist für das Reisfeld der Familie im Tal zuständig, doch der Ertrag reicht höchstens für sechs, sieben Monate im Jahr. „Ohne Opium können wir nicht überleben“, sagt die junge Frau.
Sie teilt das Schicksal der 350.000 Bewohner der Wa-Region, die vom Opiumanbau abhängig sind. Deshalb löst der Entschluss der Wa – und auch anderer Rebellengruppen im Goldenen Dreieck –, sich vom Opiumgeschäft zu verabschieden, bei internationalen Drogenexperten nicht nur Freude aus. Zu den vielen Absurditäten dieser Region kommt eine neue hinzu: jene, die den Kampf gegen die Drogen zu ihrem Lebensinhalt gemacht haben, ertappen sich bei dem Gedanken, dass der Opiumanbau eigentlich weitergehen müsste – zumindest für eine gewisse Zeit. Eine „schwere humanitäre Krise“ befürchtet Jean-Luc Lemahieu deshalb, wenn die Wa bei ihrem Entschluss bleiben.
Der 44-jährige Belgier leitet das Ranguner Büro der UNO-Behörde gegen Drogen und Kriminalität (UNODC), eine der wenigen internationalen Organisationen, die in Birma noch aktiv sind. Er hat das schlimme Beispiel einer anderen traditionellen Opium-Region im Osten Birmas vor Augen: dem Kokang. Dort haben die lokalen Behörden das Verbot bereits 2003 durchgesetzt. Inzwischen wird die Region immer unsicherer: „Die Leute werden häufiger krank, nehmen ihre Kinder aus der Schule, verlassen ihre Dörfer. Nicht wenige geraten in die Hände finsterer Gestalten, die ihre Töchter in Bordelle verschleppen“, sagt der UNO-Mann.
Um ihren Untertanen zu beweisen, dass sie es ernst meinen, zerstörten Soldaten im Wa-Gebiet bereits in den vergangenen Monaten zahlreiche Opiumfelder. Über 50.000 Bergbauern blieb nichts anderes übrig, als in die Täler zu ziehen. Die Folgen waren oft dramatisch: So starben zum Beispiel in Son Khe, einer der neuen Siedlungen im Tal, in den ersten Monaten 49 der 400 Dorfbewohner an Malaria, gegen die sie nicht gewappnet waren.
Für das Opium haben sich die Wa-Führer Alternativen ausgedacht: eine riesige Kautschukplantage, eine Zinnmine und eine Zigarettenfabrik zum Beispiel. Kasino-Barone aus Rangun und Macao durften Glücksspiel-Tempel in Pangsan errichten. Doch Rebellenführer sind selten gute Manager: Ob sich das Kautschuk jemals profitabel verkaufen lässt, steht in den Sternen. Zigarettenfabrik und Zinnmine droht die Pleite, denn Nachbar China holzt zwar für lächerlich geringe Gebühren die Wälder der Wa ab, blockiert aber Importe von Zinn und Zigaretten aus der benachbarten Region.
Versuche, den Wa die inhumanen Zwangsumsiedlungen auszureden, fruchteten bislang wenig. Die Wa-Führung ist autoritär und nicht „daran gewöhnt, einmal erlassene Befehle zurückzunehmen“, heißt es in Rangun. Derweil versuchen die UNO-Drogenbekämpfer, die ihr regionales Hauptquartier in Mong Pawk eingerichtet haben, herauszufinden, wie viel Opium inzwischen noch angebaut wird und ob die Bauern ihre Mohnfelder in unzugänglichere Gebiete verlegen. Birmesische Mitarbeiter, gekleidet in Jeans und T-Shirt, wandern an den Markttagen entlang den aufgereihten Ständen und notieren Mengen und Preise. Oder sie beugen sich über Satellitenfotos und versuchen Opium- von Bohnenfeldern zu unterscheiden, deren Grünfärbung ähnlich ist.
Im Dorf Nam Kwi laufen sie als Landvermesser mit ihren Maßbändern über die Felder – beobachtet vom besorgten Dorfchef und den Bäuerinnen. Eine heikle Mission: Zwar dulden die Wa-Führer die Anwesenheit der UNO, weil sie Geld und Hilfe brauchen. Doch je näher das Jahr 2005 rückt, desto stärker wächst der Zorn gegen so genannte Eindringlinge von außen, denen manche die Schuld am geplanten Opiumanbau-Stopp in die Schuhe schieben. Mehrfach wurden Mitarbeiter der UNO in den letzten Jahren bedroht.
Die Unzufriedenheit wächst. Und wenn sie zu groß wird, könnten einheimische wie internationale Drogenbarone einen Aufstand unter den Bauern und in der Wa-Armee anzetteln, um auf diese Weise ihre Opiumquellen zu sichern, fürchtet Lemahieu. Das würde den Krieg zurück in diese Region bringen. Ohnehin werfen Kritiker dem eloquenten UNO-Mann Naivität vor, weil er in seinem Kampf gegen das Rauschgift mit der Militärjunta in Rangun und der unberechenbaren Wa-Führung zusammenarbeitet. Nach wie vor sind Militärs und Rebellen tief ins Drogengeschäft verstrickt.
Wahr ist: Ein Opiumverbot bedeutet keineswegs das Ende des Rauschgifts im Goldenen Dreieck. Längst blüht das Geschäft mit Amphetaminen und anderen Designerdrogen, dienen die Casinos in der Wa-Region den Banden als Geldwaschanlagen. „Niemand macht sich eine Illusion über die Wa-Führer“, sagt UNO-Mann Lemahieu mit einem gewinnenden Lächeln: „Das sind Kleptokraten.“ Deshalb hält er es für die Pflicht der internationalen Gemeinschaft, den Bauern beizustehen: „Sie sind die Opfer, nicht die Schuldigen.“
In zwei Wochen wird Opiumbäuerin Nam Tho mit Mann und Kindern in ein neues Barackendorf im Tal ziehen, rund fünf Stunden Fußmarsch entfernt. „Nach dem Sommermonsun komme ich zurück“, sagt sie leise, „und werde wieder Mohn aussäen.“ Im nächsten Frühjahr wird sie es ernten dürfen – zum letzten Mal. Und danach wird sie sich an das Anbauverbot halten? Nam Tho schaut auf den Boden und schweigt. „Die Führer haben es befohlen“, antwortet schließlich ihre Nachbarin. „Wir haben keine Wahl.“