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Archiv-Artikel

Rippers Trittbrett

Drei Jahre hatte der „Pferderipper“ nicht mehr gemordet. Jetzt schlug er bei Helmstedt wieder zu. Die Strategie der Polizei ist umstritten

„Je massiver Medien berichten, desto mehr Trittbrettfahrer treten in Erscheinung“

aus HannoverKAI SCHÖNEBERG

Es könnte sich um einen großen, relativ muskulösen Mann handeln, der alleine oder bei seiner Mutter lebt. Er dürfte unscheinbar, womöglich ein eher ängstlicher Typ sein, vielleicht hat er Schwierigkeiten im Umgang mit Frauen. Was für eine „Persönlichkeit“ der Pferdekiller ist, der vor einigen Wochen wieder zwei Stuten in einem kleinen Dorf bei Helmstedt aufgeschlitzt und erstochen hat, weiß die „Ermittlungsgruppe Pferd“ beim Landeskriminalamt (LKA) Niedersachsen inzwischen recht genau. Nur: Gefasst haben die Ermittler den „Ripper“, der nach drei Jahren Pause jetzt wieder mit einem Schlachtermesser zuschlug, noch nicht. Und: Die Strategie der Polizei, die Öffentlichkeit mittels Pressearbeit zu sensibilisieren, ist umstritten.

Die Taten des Tierquälers hatten vor vier Jahren eine Vielzahl von Medienberichten nach sich gezogen: Vor allem die Boulevardpresse stürzte sich damals auf die blutigen Horrorstorys. Bislang wurden 59 Pferde in Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg angegriffen, von denen 42 an ihren schweren Verletzungen starben.

Allerdings handelt es sich nicht nur um einen Täter. Von den 49 Tatorten des Jahres 1999 sind nur acht dem Serienkiller zuzurechnen – den großen Rest schreibt die Kripo Trittbrettfahrern zu, weil sie nicht dasselbe „Schnittmuster“ – im schrecklichsten Sinne des Wortes – wie der notorische Pferdemörder benutzten.

Ob Anthrax-Briefe, Brandstiftungen oder Busentführungen: „Bei Nachahmungsdelikten ist die Polizei immer in einer schwierigen Lage“ sagt Arthur Kreuzer, Professor für Kriminologie an der Universität Gießen. Bei Serientaten sei es deshalb „manchmal gut, völlig dichtzuhalten“. Die Forschung habe bereits nachgewiesen, dass es durch „soziale Verstärker“ – wie die Medien – bei bestimmten Personengruppen zu erhöhter krimineller Aggression kommen kann. Allerdings, so Kreuzer, sei eine öffentliche Fahndung häufig auch nötig: „Als Kontrolle gegen falsche Verdächtigungen – und gegen den Eindruck der Öffentlichkeit, die Polizei tue nichts.“

Die Betroffenen sehen das kritischer. „Damals gab es fünf Tage nach meinem Auftritt in einer Live-Sendung im Fernsehen vier tote Pferde, die nachweislich nicht auf das Konto des Rippers gingen“, erzählt Kurt Reich von der Interessengemeinschaft zum Schutz der Pferde in Burgwedel bei Hannover. Der Verein hatte sich nach den ersten Misshandlungen gegründet. Mittlerweile hat er 50 Mitglieder. Nach einschlägigen Erfahrungen mit Journalisten plaudert Reich heute nicht mehr so gerne aus dem Nähkästchen eines Pferdezüchters: „Ich lege nicht mehr so viel Wert auf die Presse. Die schlachten das Thema eh nur aus, weil gerade Sommerloch ist.“

Viel lieber kontrolliert der Pferdeschützer Reich – wie viele seiner Kollegen – derzeit auch nachts Spaziergänger in der Nähe der Koppeln, damit der „Ripper“ kein leichtes Spiel mehr hat. Reich ist sich ziemlich sicher, dass auf Ripper-Berichte Nachahmungstäter folgen: „Das passiert.“ Andererseits „bin ich gespalten: Man muss doch jede Möglichkeit ausschöpfen, den Täter zu fassen.“

„Je massiver die Medien berichtet haben, desto mehr Trittbrettfahrer traten in Erscheinung“, gibt Detlef Ehrike, der Pressesprecher des LKA, zu. Aber: „Was sollen wir sonst tun? Man kann doch auch kein Geheimnis drum machen.“ Auch, dass er vor kurzem durch die Presse sickern ließ, der „Ripper“ könne sich sogar an Kindern vergreifen, verteidigt der Pressesprecher – selbst wenn das Einige vielleicht erst auf böseste Ideen bringen könnte. Ehrike: „Was soll ich tun, wenn ein Journalist nachfragt? Wenn ich verneine und Tage später haben wir ein totes Kind auf der Weide, ist hier die Hölle los.“