: Voll der Bug
„Deutsch“: Eine dumme Idee in der an dummen Ideen nicht eben armen Geschichte der modernen Blattmacherei
Das ist aber interessant: In New York trägt der Mensch derzeit Truckercaps, in Tokio isst er Tofu, während er in Berlin auf Bio-Fleisch und Hot Dogs mit Soja-Würsten schwört. In Berlin trägt man auch Kleidung von Humana, geht zum kulturellen Zeitvertreib in die Volksbühne, während man auf die Ostgut-Wiedereröffnung wartet, und sagt „voll der Bug“, wenn man zum Ausdruck bringen möchte, dass etwas schief gegangen ist.
Man hätte all das gewiss nicht erfahren, wenn ein neues Modemagazin seine Beobachtungen nicht zu Papier gebracht hätte. Es wird zwar nicht erläutert, wie, wann und wo es zu diesen Beobachtungen kam, dafür steht allerdings fest, dass allein die Idee, die jeweils angesagtesten Sprüche und Redewendungen einer Stadt für mitteilenswert zu befinden, zu den dümmsten Ideen gehört, welche die an dummen Ideen nicht eben arme Geschichte der modernen Blattmacherei zu bieten hat.
Das Modemagazin heißt Deutsch und wird im handlichen Katalogformat geliefert. Weil Deutsch ein schwerer Name ist, wiegt das Magazin verständlicherweise viel: etwa zwei Kilo. Den Hauptanteil macht dabei das Papier aus, das so dick ist, dass man aus einer Seite auch vier Seiten hätte machen können. Die potenziell vier Seiten zu einer einzigen zusammenzufassen, war nach inhaltlichen Gesichtspunkten allerdings eine sehr kluge Entscheidung: So spart man sich viel Text.
Bei dem Artikel über ein Mailänder Designhotel führte die Sparsamkeit sogar offenbar dazu, auf eine Pressemitteilung zurückzugreifen, die bezeichnenderweise den schönsten Satz der gesamten Ausgabe birgt: „Die Schwingtür geht auf und eröffnet eine neue Welt.“ Bei Deutsch blieb die Schwingtür fest verschlossen. Man sieht Modestrecken, die ebenso auch hier oder dort hätten abgedruckt werden können, und man liest Texte von mehrheitlich zweifelhafter Qualität.
Allein die Interviews mit F.C. Gundlach und Robby Müller ragen ganz sachte aus dem Mittelmaß heraus. Dabei muss man sich natürlich fragen, warum der Herausgeber, wenn es doch so viele arbeitslose Journalisten gibt, ausgerechnet DJs, Plattenfirmenmenschen und Models zu Redakteuren und Autoren gemacht hat. Man muss sich diese Frage dabei umso dringender stellen, wenn die DJs, Plattenfirmenmenschen und Models sich in ihrer Funktion als Redakteure und Autoren auch noch als funktionsuntüchtig erweisen.
So versucht Michael Vater alias DJ Phonique in seinem eher hilflosen Beitrag „Time 2 Jack“ die Rückkehr von Jackhouse herbeizuschreiben; Thomas Bär, seinerseits Plattenfirmenmensch bei Gigolo Records, erklärt anhand der ziemlich überflüssigen Neue-Deutsche-Welle-Compilation „New Deutsch“ (Gigolo Records) ebenjene Welle noch einmal überflüssigerweise nach Gigolo-Perspektive neu; und DJ Fetisch von der seit Jahren nachhaltig überschätzten Formation Terranova – je nach Windrichtung auch Turntable Terranova oder Edition Terranova genannt – steuert eine Compilation bei, auf der sich hauptsächlich Terranova- oder Gigolo-Records-Stücke finden.
Der absolute Tiefpunkt ist allerdings die Anti-Kriegs-T-Shirt-Modestrecke, in der die Models ihren Pazifismus näher erläutern. Da sagt zum Beispiel eine Anne: „Krieg ist schrecklich – für die, die ihn nicht führen! Wo bleibt UNSER Verantwortungsgefühl?“ Und wo bleibt eigentlich der Verstand? HARALD PETERS