bücher aus den charts
: Ein Dutzend Eier in Leningrad 1942

Über das Verhältnis von Handwerk und Genialität ist schon endlos philosophiert worden. Zugegeben, man muss dieses Buch jetzt auch nicht gleich ganz so hoch hängen. Aber „Stadt der Diebe“, der zweite Roman des amerikanischen Autors David Benioff, ist handwerklich und dramaturgisch derart gut gemacht, dass man sich seiner Wirkung nur schwer entziehen kann.

Wenig überraschend, dass Benioff, Jahrgang 1970, hauptsächlich als Drehbuchautor arbeitet (u. a. hat er die Drehbücher zu „Troja“ und „Drachenläufer“ geschrieben). Denn wie ein perfekt inszenierter Hollywoodfilm funktioniert auch dieses Buch. „Yes, we can.“ Das amerikanische Credo – das wir uns ja alle ganz gern zu eigen machen würden und das deshalb so gut funktioniert – wird bei Benioff verlegt ins Leningrad des Jahres 1942, als die Stadt von deutschen Truppen belagert und ausgehungert wird. Die Grundkonstellation ist ein Klassiker: Ein paar Leute, möglichst unterschiedlich und auf den ersten Blick mit möglichst wenig Zeug zu Helden, treffen eher unfreiwillig aufeinander, raufen sich zusammen und vollbringen schließlich das Unvorstellbare. Auch schon relativ klar: Der vermeintlich Stärkste der Gruppe hat es am schwersten. Und mindestens genauso klar: Eingeflochten in die Heldenstory wird eine ebenfalls aussichtslos anmutende Liebesgeschichte, die sich am Ende so gegen alle Erwartungen (bzw. umgekehrt: getreu aller Erwartungen) erfüllt, dass es einem schon mal die Tränen in die Augen treiben kann.

Bei Benioff besteht die Superheldentruppe nur aus zwei Leuten: dem Erzähler Lew, einem sprilligen siebzehnjährigen Jungen, dessen Vater vom Geheimdienst deportiert wurde und dessen Mutter und Schwester aus Leningrad emigriert sind, und Kolja, einem nicht nur fabelhaft aussehenden, sondern angesichts der Umstände geradezu absurd gut gelaunten Womanizer, der sich bald als verkappter Romanautor entpuppt und der ohne Rücksicht auf Dienstränge jedem frechdreist Paroli bietet. Im Stalinismus nicht eben eine lebensverlängernde Eigenschaft.

Und so sieht es denn zunächst auch enorm düster aus: Lew und Kolja treffen sich in einer nächtlichen Gefängniszelle – der eine hat gegen das Ausgehverbot verstoßen und einen deutschen Soldaten geplündert, der andere ist aus der Roten Armee desertiert. Was ihnen am nächsten Morgen bevorsteht, ist besiegelt, Todesurteile wurden schon für weit geringere Vergehen vollstreckt. Doch dann passiert das Wunder: Man bietet ihnen einen Deal an. Wenn sie innerhalb von fünf Tagen zwölf Eier auftreiben, damit die Hochzeitstorte für die Tochter des führenden Geheimdienstchefs gebacken werden kann, sind sie frei. Im belagerten Leningrad in das eine aussichtslose Mission.

Dass sie es am Ende schaffen, ist deshalb nicht zu viel verraten, weil Benioffs durchkomponierte Dramaturgie durch und durch vorhersehbar ist. Das tut der Spannung allerdings keinen Abbruch. Und das Wie ist schon kurios.

Erstaunlich ist an diesem Buch, dass Benioff nicht nur ein geschickter Arrangeur ist, sondern dass er zugleich sein Material sorgsam zusammengetragen und recherchiert hat. Herausgekommen ist deshalb nicht nur ein immens unterhaltsamer und fesselnder Roman, sondern ein durchaus ernstzunehmendes Buch über die Brutalität und den Irrsinn des Zweiten Weltkriegs. Die Erinnerungen von Benioffs Großvater sollen übrigens Quelle und Anstoß dazu gewesen sein, sofern man der Rahmenhandlung glauben darf. Wenn man sich das hübsche Autorenfoto auf dem Umschlag anguckt, kann man sich allerdings nur schwer vorstellen, dass der Großvater dieses Mannes der sprillige, kaum attraktive Erzähler gewesen sein soll. Aber das nur nebenbei. WIEBKE POROMBKA

David Benioff: „Stadt der Diebe“. Aus dem Amerikanischen von Ursula-Maria Mössner. Karl Blessing Verlag, München 2009, 384 Seiten, 19,90 Euro .