piwik no script img

Archiv-Artikel

WER WINDRÄDER KRITISIERT, ERHÄLT DAFÜR NEUE ATOMKRAFTWERKE Sentimentale Technikfeindlichkeit

Die Zahl der Kritiker an der Windenergie wächst. Doch ihr Kampf gegen Windmühlen ist ärgerlich und unverständlich. In Deutschland stehen 100-mal mehr Strommasten als Windräder, und durch die Netze der Masten fließt überwiegend Atomstrom. Aber die paar Dutzend Windräder, die wir endlich haben, stören?

Noch vor wenigen Jahren waren viele Bürger gar nicht, unzureichend oder falsch über die heutige Energiepolitik und ihre Folgen informiert. Aber der Sturm „Lothar“ und seine Milliardenschäden, die Hochwasserkatastrophe 2002 mit dutzenden Toten und die Hitzewelle dieses Sommers mit bis zu 5.000 Hitzetoten in Frankreich und Milliardenschäden durch Ernteausfälle haben viele Menschen erkennen lassen, dass unser heutiger atomar-fossiler Energiemix für die Zukunft unverantwortlich ist. Auch Tschernobyl ist noch nicht vergessen. Wenn wir einfach so weitermachen, reicht in einigen Jahrzehnten das gesamte Bruttosozialprodukt der Welt nicht mehr aus, um nur noch die Naturschäden zu reparieren. Das haben die Chefmathematiker der Münchner Rückversicherung errechnet. Verdrängen hilft nicht, Energieprobleme müssen politisch gestaltet werden.

Das Hauptargument gegen umweltfreundliche Windstromanlagen ist ein ästhetisches: Landschaftsverschandelung und Landschaftsschutz. Dabei gibt es künftig keinen Landschaftsschutz mehr ohne Klimaschutz. Und dafür sind auch Windräder unverzichtbar. Auch Wertkonservative haben durch Tschernobyl lernen müssen, wie gefährlich AKWs wirklich sind. Selbst deutsche Kernkraftwerke sind nicht hundertprozentig sicher; der nächste GAU ist immer programmiert. Alles, was technisch passieren kann, wird einmal passieren. In den letzten Jahren wurde zudem deutlich, wie gefährlich AKWs wegen möglicher Terroranschläge sein können. 19 AKWs in Deutschland sind 19 Einladungen an Terroristen. Und der Müll aus Kernkraftwerken strahlt 100.000 Jahre lang – wie wollen wir das je verantworten?

Wenn der Anteil an erneuerbaren Energien bis 2010 verdoppelt werden soll – wie soll dieses Ziel ohne Ausbau der Windenergie erreicht werden? Atom oder Wind – das ist die Frage. „Hauptsache dagegen!“ ist kein Zukunftsmotto – weder bei AKWs noch bei Windkraft. Während Baden-Württembergs Ministerpräsident Erwin Teufel einen irrationalen, allenfalls sentimentalen Kampf gegen Windstrom führt, engagiert sich sein jüngerer Ministerpräsidentenkollege Christian Wulff: Er ist seit 15 Jahren Mitglied im Bundesverband Windenergie und wünscht sich noch mehr Windmühlen im Windland Nummer eins, in Niedersachsen.

Ein Argument gegen Windenergie ist besonders infam: Windräder kosten Steuergelder. Das trifft sicher für Kohle- und Atomstrom zu, aber Windräder werden von engagierten Bürgern und über eine Umlage von allen Strombeziehern finanziert. 220.000 Bürger investieren inzwischen in Windräder. Das ist eine breite Volksbewegung, was demokratisch legitimierte Politiker beachten sollten.

Die fossilen Brennstoffe gehen bald zu Ende, werden immer teurer und verursachen den Treibhauseffekt. Allein ein Energiemix aus erneuerbaren und preiswerten Energieträgern wie Sonne, Wind, Wasser, Biomasse, Erdwärme und solarem Wasserstoff garantiert die Zukunft. Die notorische Technikfeindlichkeit gegenüber Windrädern verhindert jeden Fortschritt. Mit windigen Protesten wird das Land nicht zukunftsfähig. FRANZ ALT

Der Autor ist vielfach ausgezeichneter Publizist und betreibt die Internetseite www.sonnenseite.com