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Archiv-Artikel

Weniger Defizite durch Bildung

Staatsausgaben für Schulen und Universitäten sollen nicht mehr als Defizite beim EU-Stabilitätspakt gelten. Das schlägt der rheinland-pfälzische SPD-Wissenschaftsminister Zöllner vor. Bildungsausgaben sollen als Investitionen statt als Konsum zählen

aus List auf Sylt CHRISTIAN FÜLLER

Der Vorschlag wäre ein Befreiungsschlag für marode Schulen und schlecht ausgestattete Kindergärten: Bildungsausgaben sollten das Maastricht-Defizit senken, statt es wie bisher zu erhöhen. Die Idee stammt vom rheinland-pfälzischen Wissenschaftsminister Jürgen Zöllner. „Wenn die Europäische Union uns Bildungsministern wirklich helfen will“, sagte er gestern bei einer Expertentagung auf Sylt, „dann sollte sie die Ausgaben für Bildung und Wissenschaft positiv anrechnen und sie dem Defizitkriterium gutschreiben.“ Verschuldete Kommunen und Länder müssten nicht zuerst an der Bildung sparen.

Die Folgen von Zöllners „ganz simplem Vorschlag“ wären erheblich. Viele Bundesländer sind wegen sinkender Steuereinnahmen hart an den Rand der 3-Prozent-Verschuldungsgrenze geraten – und müssen damit rechnen, für eventuelle Strafzahlungen Deutschlands an die Kommission mit haftbar gemacht zu werden. Der „Maastricht-Freibetrag“ für Bildung und Wissenschaft, den Jürgen Zöllner nun ins Gespräch bringt, würde ihnen sofort Luft verschaffen. Denn die Bildungsausgaben sind mit rund 30 Prozent Anteil der größte Haushaltsposten der Länder. Sie gaben 2001 rund 50 Milliarden Euro für Schulen und über 28 Milliarden Euro für Hochschulen aus.

Zöllner, der die SPD-regierten Länder in Fragen von Bildung und Wissenschaft koordiniert, veröffentlichte seine Vorstellungen bei der Sommerschule der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft auf Sylt. Die gemeinsame europäische Wissenschaftspolitik ist dort ein Schwerpunkt, auch wegen des Treffens aller europäischen Bildungsminister Mitte September in Berlin. „Die EU sollte ihren Mitgliedstaaten vorschreiben“, sagte Zöllner weiter, „dass sie ihre Aufwendungen für Bildung und Wissenschaft nicht mehr als Ausgabe, also als Konsum, sondern als Investition verbuchen. Das würde die besondere Qualität dieser Zukunfts-Aufwendungen klar machen.“

Ähnliche Ansätze, Bildungsausgaben in Zukunft haushaltstechnisch neu zu definieren, vertreten auch andere Kultusminister der Länder seit geraumer Zeit. Selbst der SPD-Fraktionschef Franz Müntefering (SPD) hatte vor Monaten dazu angeregt, über eine neue Betrachtungsweise von Zukunftsinvestitionen nachzudenken.

Die EU würde sich mit solchen Maßnahmen auch selbst helfen, meinte Zöllner vor rund 160 Gewerkschaftern, Wissenschaftlern und Hochschulpräsidenten. Die Europäische Kommission hat nämlich im Mai diesen Jahres beschlossen, „der wettbewerbsfähigste und dynamischste wissensbasierte Wirtschaftsraum der Welt“ zu werden. Sowohl Jürgen Zöllner als auch der neue Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, Peter Gaethgens, kritisierten jedoch den EU-Ansatz, weil es Wissenschaft und Hochschulen überwiegend aus ökonomischer Perspektive betrachte.

Zöllner sagte, wer einen gemeinsamen Hochschulraum Europa wirklich wolle, der müsse die Ausbildung ausländischer Studenten honorieren. Der rheinland-pfälzische Wissenschaftsminister bat die EU daher, den Mitgliedstaaten für die Studienkosten von Gaststudenten aus Europa einen finanziellen Ausgleich zu zahlen. „Das wäre besser als die bisherigen Mobilitätsprogramme Sokrates und Erasmus zusammen.“