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Archiv-Artikel

Remscheitern bis die Krisenkonferenz kommt

taz geht wählen (3) – die Serie zur NRW-Kommunalwahl am 26. September. Heute: Remscheid depressiv im Jubiläum

Remscheid?Bergisches Land, 120.000 Einwohner, 11 Prozent Arbeitslosigkeit – und miese Stimmung im Jubiläumsjahr. Vor 75 Jahren nahm der Preußische Landtag den altbergischen Städten Lennep und Lüttringhausen ihre Eigenständigkeit und gemeindete sie nach Remscheid ein. Die Feierstimmung hält sich auch sonst in Grenzen. Seit 1990 sind über 11.000 Arbeitsplätze in der Stadt weggefallen – die meisten in der traditionellen Metall- und Eisenindustrie. Das ist für die Remscheider fast so schlimm wie die Misere im Fußball. Seit dem Abstieg des BV Lüttringhausen aus der 2. Liga vor 15 Jahren ist die Stadt ein kickendes Jammertal.Wer hat was zu verlieren?Die CDU kämpft darum, ihre Mehrheit im Stadtrat zu verteidigen. Bei der Europawahl hatten die Konservativen trotz SPD-Desaster 4,2 Prozent verloren.Wer regiert im Rathaus?Mit Bürstenhaarschnitt und Schnauzbart präsidiert Oberbürgermeister Fred Schulz (CDU) seit fünf Jahren gegen die Strukturprobleme der Stadt an. Der gelernte Industriekaufmann (Jahrgang 1956) gilt als bestimmend und bürgernah. Gern wendet sich der Rathauschef in seiner Internet-Kolumne „OB-Aktuell“ direkt an die Bürgerschaft und mahnt die Remscheider zur Reinhaltung ihrer Kommune: „Ist es wirklich zu viel verlangt, dass der Bürger sich selber einmal bückt und Papier aufhebt und in den Papierkorb wirft?“Wer will da rein?Nachdem mehrere Bundes- und Landtagsabgeordnete wegen der geringen Wahlchancen im SPD-Krisenjahr abgesagt hatten, entschieden sich die Sozialdemokraten für Beate Wilding als OB-Kandidatin. Die 47-jährige kaufmännische Angestellte ist sozial engagiert und will sich vor allem dafür einsetzen, dass alle Remscheider Jugendlichen einen Ausbildungsplatz bekommen.Was gibt es im Wahlkampf außer Kugelschreibern?Eine Debatte um den Strukturwandel und die regionale Depression. Jetzt hat die Landesregierung auf die Krisenrederei reagiert. Nach dem Vorbild des Reviers bekommt das Städtedreieck Wuppertal-Solingen-Remscheid eine Krisen-Konferenz. Damit erhält das Bergische Land den regierungsoffiziellen Prüfstempel: strukturschwach. Um den Abschwung zu stoppen, planen wirtschaftsnahe Kreise gar eine Fusion der drei Kommunen.Die taz-Prognose?Fred ist haushoher Favorit gegen Beate. Und auf dem Krisengipfel nach der Kommunalwahl wird leider wenig herauskommen – ähnlich wie bei der Ruhrgebiets-Konferenz. MARTIN TEIGELER