: Ohne Maßstab schneller in den Knast
Der Kölner Verein Maßstab hilft Menschen, die wegen nicht bezahlter Geldstrafen ins Gefängnis müssen. Der Staat spart dadurch Millionen. Doch weil Bund, Land, Kommune und Agentur für Arbeit die Mittel kürzen, ist Maßstab existenziell bedroht
VON THOMAS SPOLERT
Andreas M. kam Ende August 2003 in die Justizvollzugsanstalt Köln. Aus zwei Geldstrafen waren noch insgesamt 3.600 Euro offen geblieben. Durch den Verlust seiner Arbeit konnte der 50-Jährige plötzlich nicht mehr zahlen. Auf die schriftlichen Mahnungen der Staatsanwaltschaft Köln reagierte M. nicht. Er steckte einfach den Kopf in den Sand und öffnete keine Post mehr. Schließlich flatterte ihm die Aufforderung zum Haftantritt zur Ersatzfreiheitsstrafe ins Haus. „Dies ist ein typischer Fall, wo wir versuchen, die Haftstrafe zu vermeiden oder zu verkürzen“, beschreibt Helmut Geiter vom Kölner Verein Maßstab e.V. seine Arbeit in der JVA Ossendorf.
Seit 1996 gibt es das Projekt „Haftvermeidung“ bei Maßstab. Geiter ist seit sechs Jahren dabei. Zusammen mit seinem Kollegen Jürgen Schwarz kümmert er sich um die neu in den Knast kommenden Gefangenen, die Ersatzfreiheitsstrafen verbüßen sollen, weil sie ihre Geldstrafen nicht bezahlt haben. In mühseliger und aufwändiger Kleinarbeit versuchen die beiden Maßstab-Mitarbeiter, gemeinsam mit dem Häftling eine Lösung zu finden, ihn möglichst schnell aus der Haft auszulösen. „Unsere Hauptarbeit besteht darin, mit Freunden, Bekannten und Verwandten oder auch dem Arbeitgeber zu telefonieren“, erklärt Geiter. Ist schließlich eine Lösung gefunden, wie die Geldstrafe zu zahlen ist, verhandeln sie mit den Rechtspflegern, um eine Entlassung zu bewirken. Menschenkenntnis und Einfühlungsvermögen sind dabei notwendig.
Zwischen 2000 und 2003 konnte Maßstab in 945 Fällen zu einer Haftvermeidung beitragen. Dem Staat ersparte diese Arbeit Haftkosten in Höhe von fast 3,7 Millionen Euro, errechnete der Verein. Außerdem konnte die Landeskasse NRW noch rund 680.000 Euro Geldstrafen einstreichen. „Selbst wenn wir nur 8 Euro pro Hafttag ansetzen, hat unsere Mitarbeit in diesem Zeitraum die Landeskasse um über eine Million Euro entlastet“, umreißt Helmut Geiter den Erfolg von Maßstab.
Doch trotz dieser beeindruckenden Leistung steht Maßstab kurz vor dem Aus. „Unser gesamtes Netzwerk ist von Kürzungen bedroht“, berichtet Matthias Remky, Geschäftsführer des seit 17 Jahren bestehenden Vereins. Neben dem Projekt „Haftvermeidung“ unterhält Maßstab unter anderem zwei Beratungsstellen, eine Jugendwohngemeinschaft zur Haftvermeidung und stellt Arbeits- und Ausbildungsplätze in drei Betrieben zur Verfügung. Ob Bund, Land, Kommune oder die Agentur für Arbeit – alle kürzen oder streichen derzeit gleichzeitig die Mittel. Gesellschaftspolitisch drohten dadurch „amerikanische Verhältnisse“, so Remky. „Wir befürchten, dass viel mehr Menschen endgültig im System Gefängnis landen.“ Kriminalität ließe sich so nicht senken, empört sich sein Mitarbeiter Helmut Geiter.
Für das Projekt „Haftvermeidung“ sind in diesem und im kommenden Jahr noch Gelder vom Land da. „Doch der Zuschuss geht ins Leere, weil der Verein zu Grunde zu gehen droht“, beklagt der Maßstab-Chef die Folgen des Streichkonzerts der öffentlichen Geldgeber. Hinzu kommt, dass auch die Bußgelder und Spenden stark rückläufig sind.
Allein in diesem Jahr musste Remky bereits vier Mitarbeitern betriebsbedingt kündigen. Heute arbeiten noch 15 Menschen im sozialen Bereich für Maßstab, in den Maßstab-Projekten sind nur noch zehn ehemalige Straffällige beschäftigt. „Früher waren es mehr als 50 Mitarbeiter, wobei der Anteil der Klienten viel höher war als jetzt“, beschreibt Remky den stetigen Verfall der Arbeit mit Straffälligen. Zum 31. August muss die Schreinerei von Maßstab schließen. Erst vor zweieinhalb Jahren war sie in eine große Halle gezogen und mit modernen Maschinen für die Zukunft gerüstet worden. Das Aus für das Gründungsprojekt von Maßstab kam im Mai. Per Brief teilte die Stadt lapidar mit, dass das Land Nordrhein-Westfalen die Förderung zum 1. Juni gestoppt habe.
Aktuell fehlen Maßstab 100.000 Euro, um seine Arbeit in der Kriminalitätsvermeidung fortsetzen zu können. In 2005 sind ebenfalls zusätzliche 100.000 Euro notwendig, um eine Insolvenz abzuwenden. Chef Remky hofft dabei auf mehr Bußgelder von der Justiz und auf die Unterstützung von Privatleuten. Gerade potenziellen Spendern müsse klar gemacht werden, dass die Arbeit von Maßstab Kriminalität verhindere und damit dem Opferschutz diene. Trotz der scheinbar ausweglosen Lage entpuppt sich Geschäftsführer Remky als Optimist: „Ich glaube an Wunder“, verkündet er selbstsicher.