: Außer Thesen nix gewesen
Vor fünf Jahren begann der allwöchentliche Themenladen als Ausgehkolumne und schrieb sich dann zur Kolumne über alles fort. Nun macht er Schluss. Und seine Erfinder und Autoren nehmen Abschied
Die letzten Trends
Eine nicht ganz leichte Aufgabe, einen Themenladen über das Ende der Themenläden zu schreiben. Muss da jetzt ein Fazit her? Oder ein „Schön-war-die-Zeit-aber-jetzt-ist-eben-alles-ganz-anders“? Oder soll man trauern darüber, dass 2004 nicht mehr geht, was 1999 eine zwar späte, aber auch grandiose Idee war: Eine Club- und Ausgehkolumne. Am besten ist es aber, noch einmal darüber zu schreiben, warum diese Kolumne so gut funktioniert hat.
Sie war zwar ursprünglich gedacht als Kolumne über das Ausgehen, neue Trends und das Leben in der Bar, behandelte aber eigentlich mit dem Start die Krise des Ausgehens und das Leben überhaupt. Gewissermaßen verquickten sich in ihr der Spaß am Ausgehen und die Krise des Ausgehens, der Spaß am Schreiben mit der Krise des Schreibens. Will auch heißen: Das Leben und das Leben in der Bar konnte man sowieso nicht so genau auseinander halten, und so durchdrangen sich eben alles und nichts in dieser Kolumne, das große Ganze und das kleine Nichts: Der Sinn des Lebens, das Ende der Spaßgesellschaft, das Comeback der Spaßgesellschaft, die Winterjacke im Winter und natürlich Fragen wie: Ist Kreuzberg das neue Schöneberg oder das bessere Mitte oder ist das Glam eine der heißesten Locations der Stadt oder bloß eine miese Studentenbude?
Das funktionierte alles auch deshalb so gut, weil niemand der beteiligten Autoren und Autorinnen sein Ego über den zu behandelnden Gegenstand stellte, weil man nie das Gefühl hatte, hier schreiben jetzt Menschen, nur weil sie zufällig ein paar Sätze bilden konnten – so wie das ja leider heutzutage allerorten gang und gäbe ist: Ich bin Autor oder Autorin, also fühle ich mich berufen, eine Kolumne zu füllen, also muss mein Konterfei über die Kolumne, also darf ich den Rest der Menschheit oder wenigstens die Zeitungsleserschaft mit spärlichen Erkenntnissen, mit vermeintlichen „Kommentaren“ oder „Denkanstößen“ und den Erlebnissen aus einem leider dann doch nicht so spektakulären Alltag quälen. Keine Locken, kein Ego-Tripping, keine Fotos, keine späteren Buchverträge („Berlins Beste“, „Hier spricht Berlin“ oder „EinBerlin-Album“), nur das Leben in der Bar, das Ausgehen und die angeschlossenen Lebenswelten. Und eben ein Format, ein Kasten, in dem es sich schön einrichten und wild toben ließ: Hier brauchte es keine Leadsätze und keine tollen Aussteiger (die sich dann schön journalistenschulenmäßig aufeinander bezogen), hier konnte frei umhergeschweift werden und auch die Anschlüsse verpasst werden, hier fürchtete sich jeder Witz vor einer Pointe.
Wovor man sich in den Themenläden aber in den fünf Jahren am allermeisten fürchtete: Vor einem Trend wie der Kolumnisierung der Zeitungen, vor der Inflation der Kolumnen, wie wir sie jetzt haben, vor der totalen Überkolumnisierung der Medienlandschaft. Deshalb setzen die Themenläden, die sich immer schwer taten mit vermeintlich neuen Trends, einen letzten großen Trend: Sie machen Schluss. GERRIT BARTELS
Die nächsten Moden
Das ist jetzt also der letzte Themenladen. Und weil es der letzte ist, verbietet es sich quasi von selbst, ein letztes Thema zu verhandeln, weil dieses hinsichtlich Bedeutung und Schwere all die bereits diskutierten Themen überschatten würde. Unter Umständen würde es gar so wirken, als habe man sich das Thema bis zum Schluss aufgehoben. Hat man aber nicht, man hat es in dieser Kolumne stets so genommen, wie es kam.
Ursprünglich fing wohl alles mit der Idee an, das Berliner Nachtleben zu kommentieren. Das hat man auch eine gewisse Zeit so praktiziert, bis irgendwann auffiel, das sich die Nachtlebendokumentiererei eigentlich nicht lohnt, weil sie für die, die nicht dabei waren, sowieso nichts bringt. Also verlagerte man den Schwerpunkt auf Trends. Trends waren im Grunde ein schönes Thema, weil sie ständig kommen und gehen. Als sich dann abzeichnete, dass die Trendproduktion aus bislang ungeklärten Gründen irgendwie ins Stocken geriet, verlagerte man sich auf Moden, nicht ohne vorher wortreich zu erläutern, worin genau der Unterschied zwischen Trends und Moden besteht. Ob Phänomene wie Cocooning und Nesting nun in die Kategorien Trend oder Mode fielen, lässt sich im Nachhinein nicht mehr rekonstruieren, doch nachdem sie fünf Mal nacheinander von verschiedener Seite beleuchtet wurden, deutete sich langsam an, dass man eine andere Themenquelle braucht.
Darüber ging dann auch recht zügig der Berlinbezug verloren, was für eine Kolumne über Berlin immerhin bemerkenswert war. Es kam zu einer Demokratisierung der Themen, jede Form einer inhaltlichen Hierarchie war aufgehoben und nichts schien uninteressant genug, um nicht doch interessant dargestellt zu werden. Also wurden unter anderem spannende Fragen zur Spargelzubereitung beantwortet, die ziemlich simplen Regeln des Gesellschaftsspiels Mastermind detailliert erklärt, fernöstliche Filmfestspiele in norditalienischen Städten mittlerer Größe vorgestellt, brutale Mädchen porträtiert, schmackhafte Klöße, die mit brauner Soße gefüllt sind, gepriesen sowie praktische Tipps und Tricks zu Handarbeitsfragen mit auf den Weg gegeben.
Die Texte schienen mitunter irrsinnig bedeutungslos, tatsächlich ging es aber darum, die Bedeutung in der Bedeutungslosigkeit zu finden. Doch wenn alles möglich ist, wird es auch schnell langweilig, weshalb der Themenladen sich immer wieder mit der Langeweile auseinander setzte und sie dann und wann aus Erinnerung an alte Zeiten mal zum Trend, zur Mode oder dem zentralen Motiv des Berliner Nachtlebens erklärte. Das war aber nicht nur falsch, sondern auch ein Anzeichen dafür, dass sich die Kolumne allzu offensichtlich um sich selbst drehte.
Dabei hätte man noch so viele schöne Themen klären können: Was spricht eigentlich gegen Filterkaffee? Warum sind Kunden in Bioläden grundsätzlich so lahmarschig und unfreundlich? Was hat das alles zu bedeuten? Doch dazu braucht es wohl ein neues Format, das dem seriösen Journalismus sowie den Werten der Aufklärung nachhaltig verpflichtet ist. HARALD PETERS
Die besten Themen
Nun soll es also vorbei sein mit den Themenläden. Schade, schade, schade. Aber auch ein Anlass, Rückschau zu halten. Worum ging es eigentlich im Themenladen? Um alles und nichts zugleich, trotzdem behandelte der Themenladen allgemeine gesellschaftliche Probleme, belehrte über die Grundfertigkeiten des Ausgehens, begleitete den Leser durch die Jahreszeiten, war stets Spiegel der Gesellschaft, entwarf neue Trends und berichtete hin und wieder sogar über echte Begebenheiten an realen Orten.
Zu den Basics zählen dabei die Themenläden: „die Gästeliste“, „die Stammkneipe“, „der Arbeitsclub – Ausgehen ist Arbeit“.
Allgemeine gesellschaftliche Themen wurden auch behandelt: „Jugendlicher Burnout mit 20“, „Der Brottrunk“, „Bobos – die bourgeoisen Bohemiens“.
Mit dem Themenladen ging es durch die Jahreszeiten: „Vergeblichkeitsgefühle im Frühling“, „Immer wieder 1. Mai“, „Die letzte Kölner Popkomm beim Mexikaner“, „Immer wieder Love Parade“, „Das Sommerloch“ und „Das fehlende Vorweihnachtsgefühl“.
Neue Trends wurden oft im Themenladen zuerst entdeckt, bevor sie von aller Welt ausgeschlachtet wurden: „Davorstehen ist alles“, „Einfach vorbeilaufen“, „Afternooning“, „Stricken“, „Zuhause bleiben“, „An Tankstellen rumhängen“, „Ausgehen in Serien als echte Alternative: Das Stellvertreter-Ausgehen in Lindenstraße, Marienhof, Verbotene Liebe und GZSZ“, „Die Arbeitsgruppe ist das neue Ausgehen“, „Die Krankenhaus-Cafeteria als Club des Alters“.
Der Themenladen war stets auch ein Spiegel unserer Zeit, ab dem Jahr 2001 ist zu beobachten, wie die Ökonomie im Themenladen immer mehr an Bedeutung gewinnt: „Mein erster Euro“, „Die neue Bescheidenheit“, „Das Vorstellungsgespräch als Erlebnisquelle“, „Szenetreff Aldi“.
Der serviceorientierte Themenladen wiederum ließ die Leserin in einem ausführlichen Gastro-Tipp an unserem glitzernden Nachtleben teilhaben. Dabei gab es Themenläden zu den Themen „Das neue Maria heißt Maria“, „Der Herbst im Glam“, „Das erste Bad Kleinen und das Loch im Boden“, „Bad Kleinen II“, „Das dritte Bad Kleinen und die interessante Statue“, „Aroma Bar“, „„Club Neustadt“, „San Remo upflamör“, „Möbel Olfe“, „Big Eden – Was sollen wir reden, gehen wir ins Eden“.
Und schließlich gab es sogar Themenläden über Ausgehtrends am Urlaubsort: „Die Halbinsel Hel, wo depressive Polen im Wald auf einem Baumstamm neben einer leeren Flasche sitzen“, „Im Badischen vergnügt sich die Jugend beim Brett-Trinken im ‚Europool‘ “ und „Geschminkte Kindergesichter und Märchenaquarelle im Frauenzelt“. CHRISTIANE RÖSINGER
Die bittersten Tränen
Gott im Himmel, was mache ich nur ohne Themenladen?! Wem erzähle ich, was es zu erzählen gibt? Vielleicht sollte ich wieder anfangen, Tagebuch zu schreiben. Eine furchtbare Vorstellung, denn wo ein Tagebuch ist, da sind auch Menschen, die es unerlaubterweise lesen könnten, sei es, weil sie betrunken durch meine Wohnung irren und sich in der Türklinke vergreifen, sei es nach meinem Tod, wenn das Tagebuch zusammen mit dem anderen Trödel auf einem Flohmarkt auftaucht, ich kann es mir schon richtig vorstellen: Meine Sachen werden natürlich nicht auf schnieken Ständen für viel zu viel Kies von CharlottenburgerInnen erstanden, sondern Onkel Abu-Dhabu kommt mit seinem schmierigen Lkw und lädt das ganze Zeug auf, um es im Treptower Hallentrödel für höchstens einen Euro pro Item zu verticken. Und dann liegt da das Tagebuch, das ich gerade anfange zu führen, mitten im Ramsch, und eine Filmausstatterin kauft es, weil sie genau so eine Kladde für die Deko eines 00er-Jahre-Films braucht. Einer der Schauspieler liest in einer Drehpause darin herum, und es stellt sich heraus, dass er früher immer mit mir trinken war. Aus ihm ist richtig was geworden. Ich dagegen habe mich zu einer wunderlichen Alten entwickelt, die mit sich selbst spricht und Tagebuch schreibt …
So nah ans Herz gewachsen ist mir der Themenladen im Laufe der Jahre, dass mir an dieser Stelle ein paar Tränchen meine schwungvolle Handschrift verwischen könnten. Allerdings, meine Handschrift heißt Times New Roman, denn ich sitze am Laptop, und der ist hartgesotten, seit ich eines Nachts – natürlich beim Themenladen-Ausklamüsern – aus Übereifer eine Dose Pilsner Urquell über ihn geschüttet habe, sozusagen um in Stimmung zu kommen. Dem Themenladen konnte man nämlich nicht nur Schönes anvertrauen, sondern man konnte auch mit ihm lästern. Nie werde ich vergessen, wie ich mich einmal fast nicht mehr zur Krankengymnastik getraut habe, weil ich ausgeplaudert hatte, dass meine regelmäßig taz-lesende Krankengymnastin mich zwingt, mir vorzustellen, mein Damm knabbere an einer Aprikose. An jenem Freitag, an dem der Text erschien, erwartete ich zitternd ihre Anweisungen bei den Übungen. Würde sie sich rächen? Mich zwingen, mir vorzustellen, in meinem Sonnengeflecht stecke ein glühendes Eisen, oder Schlimmeres? Doch die Gymnastin hatte entweder ein großes Herz oder hat ihn einfach nicht gelesen, den Themenladen.
Das war stets meine andere Vermutung: In Wirklichkeit liest das doch kein Schwein. Wenn ich eine Anzeige unter den Text setzen würde: „Habe 10.000 Euro gefunden, wem gehören die?“, oder: „Vermiete Fünf-Zimmer-Wohnung im Prenzlauer Berg, 350 Euro“, ich wette, niemand würde sich melden. Doch jetzt ist es zu spät für Selbstmitleid. Es ist vorbei mit dem Themenladen, meinem geduldigen Freund. Ich werde mir echte Freunde suchen müssen. JENNI ZYLKA