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Archiv-Artikel

Unangenehme Einsichten

Manchmal ist die nicht ganz risikolose Darmspiegelung unumgänglich. Mit der virtuellen Koloskopie gibt es aber bereits eine schonendere Alternative. Obwohl die Computertomographie preiswerter ist, wird sie nicht immer von den Kassen bezahlt

Flache Karzinome, die sehr selten sind, werden mit der CT nicht so gut erkannt

VON GISELA SONNENBURG

Der Mensch ist ein anfälliger Allesfresser, der sich zudem nicht immer nur gesund ernährt. Vor allem beim Altern kann das Verdauungssystem kränkeln – Dickdarmkrebs droht. 50.000 bis 60.000 Neuerkrankungen daran gibt es jährlich in Deutschland. Mit dem Slogan „Früherkennung kann Leben retten“ machten deshalb Ärzte, Stiftungen und Verbände im Verein mit Prominenten von Harald Schmidt bis Susan Stahnke mobil – und verhalfen der zuvor oft geschmähten Darmspiegelung dazu, dass sie seit Oktober 2002 als Vorsorgeleistung bei den Krankenkassen verzeichnet ist.

Seither können nicht nur mutmaßlich Darmkranke, sondern alle über 56-Jährigen zweimal im Abstand von zehn Jahren eine Koloskopie (Darmspiegelung) vornehmen lassen. Ein aufwändiger Eingriff, der zudem nicht ohne Risiken ist. In den tags zuvor mittels Abführlösung entleerten Darm wird ein meterlanger Schlauch eingeführt: um den Darm von innen betrachten, Gewebeproben entnehmen und Polypen, aus denen sich möglicherweise nach Jahren Krebs entwickelt, entfernen zu können.

Jedoch: Verletzungen und Blutungen der Schleimhaut, schlimmstenfalls sogar eine Perforation der Darmwand können die Folgen sein. Sie machen womöglich aus einem Gesunden, der sich nur untersuchen lassen wollte, einen Kranken, der behandelt werden muss. Dennoch ließen sich, dank massiver Bewerbung des koloskopischen Eingriffs, bis April dieses Jahres 350.000 Patienten vorsorglich den Darm spiegeln. Bei 2.450 der Untersuchten fand sich laut Kassenärztlicher Bundesvereinigung prompt ein Karzinom.

Das sind immerhin 0,7 Prozent, für die die unangenehme Innenansicht absolut notwendig war. Bei weiteren 14 Prozent der Untersuchten wurden Adenome und Polypen gefunden – auch das Argumente für den Eingriff. So gesehen attackiert der Tübinger Publizist Christian Weymayr die angebliche „Koloskopie-Lobby“ zu Unrecht, wenn er ihr, wie vor einigen Monaten in der Zeit, vorwirft, sie habe einen „wenig wissenschaftlichen Großversuch“ gestartet.

Was selbst ernannte Kritiker der „Gerätemedizin“ aber ebenso verschweigen wie die meisten Koloskopie-Befürworter: Es gibt bereits eine vergleichbar effektive, dabei weniger riskante und zudem angenehmere und preiswertere Alternative zur Darmspiegelung: die virtuelle Koloskopie. An der Berliner Charité wird sie seit 1997 praktiziert, damals erstmals in Deutschland. Mittlerweile bieten neben großen Kliniken auch niedergelassene Ärzte das schonende Verfahren an.

Hierbei liefert eine mehrschichtige Computertomographie die Bilder vom Darm. Für diese Untersuchung muss der Patient lediglich seinen Darm spülen und mit Kohlendioxid aufblasen lassen. Während der Untersuchung in der CT-„Röhre“ dreht sich diese; eine Software setzt dann die gewonnenen Daten zu dreidimensionalen Darstellungen zusammen.

Patrik Rogalla, Radiologe und leitender Oberarzt an der Berliner Charité, bestätigt, dass die Erkennungsrate der Mehrschicht-CT der konventionellen Koloskopie vergleichbar ist. Mit einer Ausnahme: Flache Karzinome, die indes sehr selten sind, lassen sich laut Rogalla mit der CT nicht ganz so gut erkennen.

Dafür wird nicht nur das Innere vom Darm, sondern auch sein Umfeld gesehen: Wichtig ist das zum Beispiel, wenn ein Tumor von außen auf den Darm drückt. „Manche Patienten haben allerdings Angst vor der Strahlenexposition“, weiß Rogalla und beruhigt: „Sie entspricht mit gut sechs Millisievert der von zwei bis drei Röntgenaufnahmen – oder auch der natürlichen Strahlung in Österreich pro Jahr.“ Erkrankungen seien dadurch kaum zu erwarten.

Schade nur, dass die virtuelle Koloskopie nicht im Vorsorgekatalog steht. Zumal sie mit 150 bis 200 Euro (300 bis 400 Euro für Privatpatienten) kostengünstiger ist als die traditionelle Darmspiegelung. Bei der kommen zum kassenärztlichen Mindestpreis von 210 Euro noch Zusatzkosten beispielsweise für Narkose- oder Beruhigungsmittel hinzu.

Wer indes Beschwerden im Darmbereich hat, sollte zunächst seinen Stuhlgang auf Parasiten und okkultes, also verborgenes Blut testen lassen. Vom vorherigen Verzehr von Blutwurst und Ähnlichem ist abzuraten: Der Test zeigt verdautes Blut auch dann an, wenn es aus der Nahrung stammt. 50- bis 55-Jährige können diese Untersuchung als jährliche Vorsorge – also ohne dass Symptome vorliegen – auf Kassenkosten durchführen lassen. Erst bei einem Befund wird dann die Koloskopie fällig. Und: Mit einem Überweisungsschein statt als Vorsorge kann man die Mehrschicht-CT wählen.

Noch schonendere Verfahren werden derzeit entwickelt. So prüft die Berliner Firma Epigenomics einen Test zur Darmkrebsfrüherkennung, der die DNA in Blutproben analysiert. Ab 2006 soll er verfügbar sein – und wird vielleicht die Vorsorge-Koloskopie ersetzen. Bis dahin und darüber hinaus gilt: Rohkost und Vollkornprodukte halten den Darm fit, während ihm Weißbrot, Tierfett und Reizstoffe wie Nikotin arg zusetzen.