: Leistung muss sich wieder lohnen
Das faktische Ende der Juniorprofessur ist auch eine Chance – um endlich eine echte Universitätsreform zu wagen: Mehr Wettbewerb und Teamarbeit, weniger Professoren
Professoren haben es gut, denkt man sich so. Sie können erforschen, was sie wollen, und sie haben keine Chefs, die lästig fallen. Stattdessen gibt es Untergebene: studentische Hilfskräfte, wissenschaftliche Mitarbeiter – und nicht zuletzt der Assistent, der an seiner Habilitation laboriert. Sie alle sind vom Wohlwollen des Professors abhängig, der in seinen Büros regieren kann wie ein Fürst im Feudalismus.
Doch so schön diese Privilegien sind, richtig genießen lassen sie sich nicht: Es müssen immer mehr Studenten betreut werden, die Forschungssemester werden gestrichen, und ständig ist zu fürchten, dass der Uni-eigene Computerserver ausfällt. Schon seit 1979 bekommen die Universitäten immer weniger Geld – offensichtlich weiß die Gesellschaft nicht mehr, was Wissenschaft wert sein soll.
Doch am Sinn des Akademischen wird nicht nur jenseits des Hochschulzauns gezweifelt, die Universitäten erodieren längst von innen. Der Nachwuchs fürchtet um seine Zukunft. Insgesamt habilitieren weit mehr Wissenschaftler, als hinterher Hochschullehrer werden können. So bewerben sich etwa im Fachgebiet „Neuere deutsche Literatur“ auf eine Professur mindestens 200 Interessenten.
Wer sich für eine wissenschaftliche Karriere entscheidet, geht ein hohes Risiko ein, die Universität schließlich doch verlassen zu müssen. Im fortgeschrittenen Alter von durchschnittlich 40 Jahren. In den Naturwissenschaften oder auch in der Medizin lässt sich mit diesem Wagnis meist leben, weil auch außerhalb der Hochschulen adäquate Stellen in der Industrie und in den Kliniken zu finden sind. Doch habilitierte Geisteswissenschaftler sind oft unvermittelbar. Sie gelten als hoffnungslos überqualifiziert und sowieso zu alt.
Diese Sackgasse vermeiden viele: Massenweise verzichten sehr gute Studenten auf die Promotion und verlassen die Universitäten schon nach dem Magister. Außerdem ist es schwer für selbstständig denkende Menschen, den Feudalismus an der Universität zu ertragen, der vollwertige Anerkennung nur an jene verleiht, die den Adelsstand des Professors erreichen. Es ist eine Zumutung, noch im Alter von 40 Jahren als „Nachwuchswissenschaftler“ zu gelten.
Zurück bleibt eine eigenartige Mischung: Da gibt es die überragend begabten Wissenschaftler, die nie gezweifelt haben, dass sie forschen müssen. Allerdings setzen sich viele von ihnen ins Ausland ab, weil sie dort früher als Forscher anerkannt werden und nicht den Dünkel von vorgesetzten Professoren ertragen müssen. Und dann bleiben jene zurück, die ängstlich genug sind, um sich mit den Zuständen an den deutschen Universitäten zu arrangieren.
Hier wollte die Juniorprofessur Abhilfe schaffen, indem der Nachwuchs nicht mehr gezwungen sein sollte, eine Habilitation zu verfassen. Gleichzeitig wurde er nicht mehr einem Lehrstuhl zugeordnet. Stattdessen sollten sich die Juniorprofessoren vielfältig und vielseitig wissenschaftlich profilieren – durch Veröffentlichungen, das Organisieren von Tagungen oder die Akquise von Drittmitteln.
Nun hat das Bundesverfassungsgericht die bundeseinheitliche Einführung der Juniorprofessur verworfen, weil die Länder zuständig seien. Damit dürfte die Juniorprofessur faktisch gescheitert sein; wer eine solche Stelle angetreten und es tatsächlich gewagt hat, auf eine Habilitation zu verzichten – der steht nun betrogen da.
Gleichzeitig stellen sich die alten Fragen neu: Wie lockt man die Besten an die Uni und verhindert, dass allzu viele ins Ausland oder in die freie Wirtschaft flüchten? Und wie organisiert man einen vernünftigen Wettbewerb an den Universitäten? Denn oft regiert noch immer die Tonnenideologie, die die Güte einer Dissertation oder Habilitation mit ihrer Dicke verwechselt.
Bisher schien den Bildungsministerien vor allem ein Mittel probat, um den qualitativen Wettbewerb zwischen den Lehrstühlen zu stärken: die Drittmittelakquise. Auch die Juniorprofessoren sollten sich so für eine feste Anschlussstelle profilieren.
In den Naturwissenschaften ist es tatsächlich oft sinnvoll, dass sich die Industrie an der Forschung beteiligt, von der sie anschließend profitiert. Aber dieses Modell lässt sich kaum auf die Geisteswissenschaften übertragen. Es dürften sich nur selten private Geldgeber finden, die etwa einen Sonderforschungsbereich über westafrikanische Kulturen finanzieren wollen.
Für die Drittmittelakquise in den Geisteswissenschaften bleibt also nur der Staat, genauer die Deutsche Forschungsgemeinschaft. Ihre Angestellten können jedoch die Anträge nicht einschätzen – und müssen sich auf das Urteil von Experten verlassen. Diese Professoren wiederum werden sich jedoch hüten, ihre antragstellenden Kollegen zu verärgern, schließlich wollen auch sie Sonderforschungsbereiche durchbringen. Also kommt es zu Gefälligkeitsgutachten auf Gegenseitigkeit. Schon immer existierten Seilschaften und Netzwerke an den Universitäten – durch den Zwang zur Drittmittelakquise werden sie nun zu Kartellen.
Diesen Kartellen können auch die Juniorprofessoren nicht entkommen: Ob mit oder ohne Habilitation haben sie nur eine Chance auf Festanstellung, wenn sie nicht unangenehm auffallen. Konkurrenz gibt es hinreichend an den deutschen Universitäten, aber bisher ist es ein Wettbewerb um die besten Kontakte zu einflussreichen Professoren.
Besser machen es die Briten: Dort wird von jedem Wissenschaftler verlangt, dass er in fünf Jahren vier Aufsätze in einer anerkannten Zeitschrift publiziert. Ob sein Text angenommen wird, entscheidet jedoch nicht das Kartell seiner vertrauten Kollegen – sondern es gilt das Verfahren des blind peer review. Zwei Wissenschaftler begutachten den Artikel, ohne zu wissen, von wem er stammt. Wer Publikationserfolge hat, wird honoriert an seiner Universität: mit einer lebenslangen Stellung oder Gehaltszuschlägen.
Aber so ein echter Leistungswettbewerb kann nur dann erfreuliche Resultate bringen, wenn tatsächlich Leistungsträger konkurrieren. Eine variierte Neuauflage der Juniorprofessur wird jedoch den Exodus der potenziellen Nachwuchswissenschaftler ins Ausland oder in die Wirtschaft nicht aufhalten. Schließlich ist der Juniorprofessor vor allem ein wohlklingender Titel, der die semantische Demütigung des wissenschaftlichen „Mitarbeiters“ ein wenig mildert: Tatsächlich haben die neuen Juniorprofessuren nur die alten Mittelbaustellen ersetzt. Laufzeit sechs Jahre, und danach dürfen die meisten weitersehen, wie sie überqualifiziert noch irgendwie eine Stelle außerhalb der Universitäten finden.
Wie sich guter Nachwuchs locken lässt, machen erneut die Briten vor: Sie setzen auf flache Hierarchien in den Fakultäten. Reich dotierte Professorenposten gibt es nur wenige, dafür sehr viel mehr feste Stellen für gleichberechtigte Wissenschaftler. Mit der Professorenherrlichkeit wäre es dann zwar weitgehend vorbei – aber die ist ja sowieso nicht mehr so herrlich.
ULRIKE HERRMANN