Entschlossener kauen!

Wladimir Putin hat sich über seine Nationalelfbeschwert: Die sollen gefälligst die Hymne singen

Dass es mit dem Patriotismus bei einem Großteil der Russen nicht weit her ist, ärgert Staatspräsident Wladimir Putin schon lange. Unlängst knöpfte sich der Kremlchef nun auch noch die russische Fußballnationalmannschaft vor, die – genauso wie die Völler-Truppe – die Vorrunde bei der Europameisterschaft in Portugal nicht überlebt hatte. Doch nicht der frühe, unrühmliche Abgang war der Stein des Anstoßes, sondern die fehlende Sangesfreude der Kicker.

Die Spieler sollten vor Länderspielen gefälligst die Nationalhymne mitsingen, anstatt vor laufenden Kameras Kaugummi zu kauen, ließ der erboste Putin dem Cheftrainer der Nationalmannschaft, Wjatscheslaw Koloskow, über das olympische Komitee ausrichten.

Er habe die Spieler aufgefordert, ihre Hymne ernster zu nehmen, verteidigte sich der gemaßregelte Koloskow pflichtschuldig im Boulevardblatt Schisn. „Andere Mannschaften singen nicht bloß, sondern haben dabei auch noch einen Gesichtsausdruck, der ihre Entschlossenheit zeigt, zu allem bereit zu sein, um den Gegner zu schlagen. Und unsere? Die kauen nur und grinsen auch noch dabei.“

Etwas anderes bleibt den Spielern wohl auch nicht übrig. Denn wer schevatschka, wie die lange Zeit defizitären in Stanniol eingewickelten Streifen auf Russisch heißen, mit Ober- und Unterkiefer bearbeitet, kann dabei schwerlich auch noch Entschlossenheit demonstrieren. Damit ist aber die Frage nach dem Warum der musikalischen Verweigerungshaltung nicht beantwortet.

Einer der Gründe könnte sein, dass die Spieler schlicht und einfach den Text der Hymne nicht kennen. Noch zu Zeiten Boris Jelzins hätten sie für ihr Nichtwissen eine gute Entschuldigung gehabt. Da besaßen die Russen mit dem „patriotischen Lied“ des Komponisten Michail Glinka zwar eine Hymne, diese hatte aber keinen Text.

Nicht zuletzt, um diesem unpatriotischen Schweigen im Sinne nationaler Identitätsstiftung ein Ende zu bereiten, beglückte Putin seine Landsleute zum Jahreswechsel 2000/2001 mit einer neuen, diesmal etwas wortreicheren Hymne. Die Melodie ist die der alten Sowjethymne, allein der Text wurde den neuen Gegebenheiten angepasst. So lautet der Refrain: „Sei gepriesen, unser freies Vaterland/uralter Bund brüderlicher Völker/von den Ahnen überlieferte tiefe Weisheit/Land sei gepriesen! Wir sind stolz auf dich!“

Vielleicht ist es auch mangelnder Stolz aufs Putin-Land, der den Sportlern den Text nicht über die Lippen kommen lässt. In jedem Fall werden sie nachsitzen müssen, um ihrem Präsidenten weitere Schmach zu ersparen. Viel Zeit zur Weiterbildung bleibt jedoch nicht mehr. In zwei Wochen beginnen die Spiele. Und beim olympischen Fußballturnier erklingen die Hymnen bekanntlich vor dem Spiel – nicht erst bei der Siegerehrung.

BARBARA OERTEL