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Archiv-Artikel

Ein echtes Schwergewicht

Über 10 Kilo wiegt der Landeshaushalt. Abgeordnete können ihn zwar am Computer lesen und brauchen ihn nicht zu schleppen. Ins Schwitzen bringt er die rot-rote Regierungskoalition trotzdem

von STEFAN ALBERTI

In der Landespolitik gibt es Leute, die meinen, der Finanzsenator sei Gold wert. Weil er die alte Tante SPD auf Sparkurs bringt und hält, den Ärger darüber auf sich zieht und anderen Gelegenheit gibt, mit moderateren Tönen zu punkten. Im Landeshaushalt aber hätte ein in Gold aufgewogener Thilo Sarrazin nur minimale Bedeutung. Geschätzte maximal 80 Kilo Lebendgewicht brächten noch nicht mal 1 Million Euro – weniger als Peanuts für den 21-Milliarden-Etat, der heute ins Plenum des Abgeordnetenhauses geht.

Der Sarrazin’sche Zweijahresplan für 2004 und 2005, verteilt auf 2055 Seiten, ist nicht nur gewichtig, weil er 10,275 Kilo auf die Waage bringt – wobei er gegenüber über seinem 10,435 Kilo schweren Vorgänger schon abgespeckt hat. Gewichtig sind auch die politischen Entscheidungen, die hinter dem Entwurf stecken, den der Senat am 1. Juli beschlossen hat. Weit gehen etwa Einschnitte bei den Sozialhilfeempfängern: Das Kleidergeld soll gekürzt werden, die BVG-Sozialkarte wegfallen, mit intensiverer Prüfung will der Senat eventuellem Missbrauch begegnen.

Besonders die Fraktion des kleineren Koalitionspartners PDS hatte und hat daran zu knabbern. Ihr Finanzexperte Carl Wechselberg sieht aber mit diesem Entwurf noch „die soziale Balance der Stadt gewährleistet“.

Wechselberg, erst seit Jahresanfang Abgeordneter, aber zuvor schon Finanzexperte der PDS, ist eine der zentralen Figuren in der parlamentarischen Debatte um den Haushalt. Bis Mitte Dezember – dann soll das Plenum das Budget als Gesetz beschließen – muss er den rot-roten Entwurf gegen die Kritik der Opposition verteidigen.

Bühne des großen politischen Rundumschlags zum Haushalt ist das Plenum. Mögliche Veränderungen aber ergeben sich anderswo: im Hauptausschuss, zuständig für alle Finanzfragen, zu Hause im lang gestreckten Raum 113 in der ersten Etage des Abgeordnetenhauses. Ein guter Teil der 29 Ausschussmitglieder sitzt dort vor Laptops, wie verschanzt hinter den hochgeklappten Bildschirmen: Dort lassen sich die jüngsten Zahlen und Stellungnahmen aus der Verwaltung abrufen, ohne Blättern im 2000-Blätter-Entwurf – und vor allem leichter.

Wichtigste Gegenspieler von Rot-Rot in Raum 113: die Grünen-Haushälter Jochen Esser und Oliver Schruoffeneger, CDU-Mann Nicolas Zimmer, auch als Fraktionschef weiter haushaltspolitischer Sprecher, und FDP-Fraktionschef Martin Lindner, immer für eine pointierte Äußerung gut. Hartes Brot für den eher buchhalterischen Wechselberg und SPD-Chefhaushälterin Iris Spranger. Deren Beitrag zum Nachtragshaushalt etwa tat Lindner unter Gelächter als „Märchenstunde bei Tante Iris“ ab.

Beim gestrigen Auftakt nach der Sommerpause stellte FDP-Mann Lindner im Hauptausschuss eine gereizte PDS-Fraktion fest, die Mühe habe mit dem „unausgegorenen, unbefriedigenden Papier“ des Haushalts. Die CDU-Fraktion hatte in einer ersten Reaktion auf den Entwurf zwar „einige gute Ansätze“ gesehen. Der Senat verfehle jedoch deutlich sein Konsolidierungsziel. Für Grünen-Experte Esser basiert Sarrazins Planung auf „Mondzahlen“.

Ein weiterer Knackpunkt der Kürzungen neben der Sozialhilfe sind die Kitagebühren. Besserverdienende sollen tiefer in die Tasche greifen müssen. Das soll mit weiteren Einsparungen im Jugendbereich 2004 rund 12 Millionen bringen, 2005 sogar 72 Millionen. Stark umstritten sind auch Kürzungen in der Kultur. Auslagern von Werkstattarbeiten, Umstrukturierung der Orchesterlandschaft: 4,5 Millionen sollen sich damit 2004 einsparen lassen. In erster Linie betroffen: die Berliner Symphoniker, die vor dem Ende stünden. Der Landesmusikrat machte sich jüngst für sie stark: Sie würden zu Berlin gehören „wie die Philharmoniker und der Fernsehturm“.

Trotz der Gewichtigkeit des Haushalts hatte man zwischenzeitlich bei Rot-Rot daran gedacht, heute in der zentralen Plenardebatte nicht das Budget, sondern das Schulgesetz zu diskutieren. Grünen-Experte Esser schlug schon die Hände über dem Kopf zusammen: „Das wäre die absolute Lachnummer gewesen.“