Wenn die Kleidermotten nagen

Beim Kampf gegen Kleidermotten greifen Forscher in die biologische Trickkiste. Empfohlen werden Niemöl oder Kieselgur, ein aus den Skeletten kleiner Kieselalgen bestehendes Pulver. In der Erprobung sind auch kleine, ameisengroße Schlupfwespen

Diese Schlupfwespen haben die Größe von Zwergameisen und fliegen viel und gern

von BARBARA KERNECK

Die Feindin schläft nicht, sie frisst! Als weißer Wurm hat sie zum Beispiel den naturwollenen Teppichboden des Verlegers Ludwig Wolf* unästhetisch angenagt. Während die Miniermotte das Scheinwerferlicht der Massenmedien umschwärmt, nutzt ihre Schwester, die Kleidermotte, das Dunkel und kommt darin prächtig voran. Höchste Zeit, sich anzusehen, mit wem wir es da eigentlich zu tun haben.

Eine Kleidermotte (Tineola bisselliella) lebt als geflügelter Schmetterling nur vierzehn Tage. Aber als Gattung existierte sie längst, bevor es Kleider gab. Ihre Larven sind Hornfresser, sie können Seide, Wolle, Pelz und Federn verdauen, nicht aber Baumwolle. Ihr Urlebensmilieu sind Tierleichen. Dort erfüllen sie eine nützliche Funktion als Aasbeseitiger. Nach Tierischem strebend, orientiert sich die Mottenmutter auf der Suche nach einem Eiablageplatz am Geruch von Schweiß und Urin. Den können stark duftende „Vergrämungsmittel“ wie Lavendel oder Zedernöl übertönen. Sie haben aber keinen Einfluss auf bereits gelegte Eier.

Die Mottenraupe im Schrank benötigt bis zur Verpuppung bis zu acht Monate und bis zu sechs Häutungen. Nach jeder einzelnen spinnt sich die Larve einen neuen Köcher aus ihrem Wirtsmaterial. Die verlassenen Gespinststrümpfe gelten als sicheres Zeichen für Mottenbefall.

Motteneier, Larven und Kokons sind sehr störungsanfällig und sonnenempfindlich. Deshalb haben unsere Großmütter die Kleidung zum Saisonwechsel nur gewaschen weggepackt oder wenigstens ausgeschüttelt und an die Luft gehängt. Merke: Der Kleidermotte größter Graus ist das Klamottenreinundraus.

„Aber an Schädlinge denkt heutzutage erst, wer sie schon hat“, sagt Peter Hollerbach, Eigentümer der Firma bioControl. „Als Schädlingsbekämpfer“, formuliert er, „versuche ich, nicht gleich die giftigsten Mittel anzuwenden.“ Dem Durchschnittsverbraucher legt er nahe, es erst mal mit extremen Temperaturen zu versuchen. Ludwig Wolf könne ja seinen Teppich in eine Heißluftkammer bringen, wo das Larveneiweiß bei Temperaturen über 60 Grad Celcius zerfällt. Solche Einrichtungen gibt es allerdings nicht in jeder Stadt.

Doch Verleger Wolf hat ja gar keine Teppiche, sondern einen festgeklebten Teppichboden. Was also tun? „Da würde ich zweimal innerhalb von 14 Tagen reines Pyrethrum versprühen“, sagt Hollerbach ungerührt. Den erwähnten Stoff sollte man nicht mit dem in gewöhnlichen Mottenstreifen enthaltenen Nervengift Chlorpyrifos verwechseln.

Pyrethrum wird aus Chrysanthemen gewonnen und seit Alters her in Asien als natürlicher Insektenkiller benutzt. Die Hauptwirkstoffe verlieren bei Licht schnell ihre Aktivität. Wenn er ans Werk schreitet, trägt Hollerbach gewöhnlich einen Mundschutz und verweist Mensch und Haustier ihrer Wohnung. Aber schon nach drei Stunden, betont er, sei der Stoff für Warmblüter „unbedenklich“. Verbraucherschützer raten jedoch von Pyrethrum-Präparaten ab. Zumeist sind sie nicht rein natürlich, sondern als Pyrethroid künstlich nachgebaut und durch Zusätze „langzeitverstärkt“.

Ludwig Wolf besinnt sich lieber auf die Mittel aus seinem Bioladen: Niemöl und Schlupfwespen. Pheromonfallen klammert er von vornherein aus. Alle Experten halten sie bei der Kleidermottenbekämpfung für ineffizient. „Wir empfehlen immer erst mal das Niemöl“, sagt Matthias Schöller, Mitinhaber der Berliner Firma BIP (Biologische Beratung bei Insektenproblemen). Er erklärt weiter: „Das Öl unterbindet den Häutungsprozess der Mottenlarven und damit stirbt die ganze Population allmählich ab.“ Der Niembaum, aus dessen Samen man das Öl presst, kommt in allen tropischen Ländern vor. Jeden, der befürchtet, die eigene Umgebung mit einem Ölfilm zu verkleben, kann Schöller beruhigen. Das Niemöl wird so stark mit Wasser verdünnt und so fein versprüht, dass man es als Fett nicht mehr wahrnimmt. Ludwig Wolf aber hat neulich von einer japanischen Studie gelesen, derzufolge es den menschlichen Hormonhaushalt durcheinanderbringen soll. Er möchte weitere Ergebnisse abwarten.

Schlupfwespen bezeichnet man im Gegensatz zu den Motten als „Nützlinge“. Die Motte würde das anders sehen. Die Schlupfwespe hat mit den Wespen um unsere Marmeladentöpfe wenig gemeinsam. Nehmen wir zum Beispiel die Gattung Trichogramma. Diese etwa 0,5 Millimeter kleinen Tierchen sind nur als Staubkörnchen wahrzunehmen. Sie gehen meist zu Fuß und haben statt des Stachels eine Legeröhre. Damit katapultieren sie ihre Eier in die der Motten. Die heranwachsenden Wespenlarven fressen die Motteneier von innen leer. Gibt’s keine Motten mehr, sterben auch die Wespen aus. Bewährt haben sie sich bisher bei der Bekämpfung von Getreidemotten. Warum also nicht bei Kleidermotten?

Um diese Frage zu klären, ruft der Verleger bei der Firma ARIES in Horstedt an. Wie auch die Firma BIP vertreibt sie schon jahrelang Schlupfwespen in Briefchen mit je 3.000 Stück. „Nein“, bedauert Thomas Frische von ARIES: Trichogramm evanescens möge zwar Kleidermotteneier, finde sie aber meistens nicht: „Dummerweise haben die eine sehr schlechte Fernorientierung und stolpern einfach drauflos. So ein Pullover ist für eine Evanescens höher als für uns der Mount Everest, da gibt sie bald auf.“

Nun weiß Ludwig Wolf schon, dass auf der Welt zehntausende von Schlupfwespenarten existieren. Könnte man nicht welche finden, die beim Aufspüren der Mottenbrut geschickter vorgehen? Mit dieser Frage verweist ihn Frische an Olaf Zimmermann. Der forscht am Institut für biologischen Pflanzenschutz an der Biologischen Bundesanstalt (BBA) in Darmstadt und schreibt an einer einschlägigen Dissertation. Als Erfolg versprechend gelten seine Experimente mit einer Schlupfwespe namens Apanteles carpatus, deren Lärvchen nicht Motteneier, sondern Raupen fressen. Wenn es um deren Aufspüren geht, ist die Apanteles ein wahrer Polizeihund.

Den ungefähren Aufenthaltsort der Wirtstiere ortet sie nach dem Duft des Kots. Einmal auf der befallenen Textilie, betrommelt sie sie mit ihren Antennen, bis sie auf den Flügelstaub der Mottenmütter und schließlich die Larven stößt. Diese Schlupfwespen haben die Größe von Zwergameisen und fliegen viel und gern. „Viele Leute wollen nicht zu den Motten noch zusätzliche Tiere in ihrem Haus sehen“, berichtet Zimmermann. Er kennt aber auch Ausnahmen. Zum Beispiel eine Familie, deren mit Schafwolle gedämmtes Ökohaus Motten in den Wänden aufwies. „Die kannten keine Berührungsängste gegenüber meinen Tieren“, schwärmt er. Noch, so versichert der Jungwissenschaftler, seien die Schlupfwespen für die Kleidermottenbekämpfung nicht marktreif: „Und meine Apanteles züchte ich zur Zeit nur im Rahmen meiner Doktorarbeit.“ Er hoffe aber, dass sich dies in Zukunft ändere.

Für Wolf ein geringer Trost. Also doch der Griff zum Gift? Nein! Ein letzter Anruf beschert ihm die ökologisch unbedenkliche Alternative. Die Rettung kommt von Cornel Adler, dem stellvertretenden Leiter des Instituts für Vorratsschutz der Biologischen Bundesanstalt in Berlin. Der weist auf die Möglichkeit hin, Kieselgur auszustreuen.

Dieser Stoff sieht aus wie feiner, weißer Sand, ist völlig ungiftig und dient unter anderem zur Herstellung von Zahnpasta. Er besteht aus den Skeletten mikroskopisch kleiner Kieselalgen aus der Nacheiszeit. Wenn sich Mottenlarven mit Kieselgur einmehlen, wird ihre äußere Wachsschicht beschädigt, die sie vor Austrocknen schützt. Das Ende folgt auf dem Fuße.

Ludwig Wolfs Wohnzimmer sieht heute aus, wie ein Pazifikstrand. Die Motten ist er erstmal los. Und was haben wir aus alledem gelernt? – Schädling oder Nützling, das ist immer eine Frage der Perspektive.

* Name von der Red. geändert