piwik no script img

Archiv-Artikel

Der Spion, der aus der Zone kam

Der Eulenspiegel-Verlag stellte ein Buch vor, das von ehemaligen Stasi-Mitarbeitern geschrieben wurde. Über den Unterschied zwischen Kundschaftern und Spionen

Der Brockhaus von 1898 unterscheidet Kundschafter und Spione: „Nichtmilitärs, welche als Kundschafter tätig sind, werden Spione genannt.“ Der Brockhaus von 1996 weiß davon nichts mehr. Wer im Ausland schnüffelt, heißt Spion. Basta.

Dennoch beharren die beiden Exchefs der Stasi-Auslandsspionage, Markus Wolf und Werner Großmann, auf der Nuance. Sie schrieben das Vorwort zu einem neuen Buch, das die Erfahrungen von 31 Stasi-„Spitzenquellen“ versammelt. Gestern stellte der Eulenspiegel-Verlag den Band in einer Galerie im Stadtteil Lichtenberg vor.

Die auf 383 Seiten versammelten Geschichten sind unspektakulär. Ein junger Rekrut entwendet die Bedienungsanleitung für den neuen Leopard-Panzer. Eine Frau wechselt unter konspirativen Umständen ihre Identität. Die Anekdoten sollen nicht aufregen. Sie haben anderes im Sinn. „Sie beweisen“, sagt Werner Großmann, „dass es uns Kundschaftern um Friedenssicherung ging.“ Kundschaften, Frieden sichern. Ginge es nach Großmann, gäbe es im aktuellen Brockhaus immer noch ein Stichwort Kundschafter. Im Unterschied zu den Westspionen bezeichnete es alle DDR-Schlapphüte. Denn die wollten das Gute.

Großmanns gestern zahlreich versammelte Exkollegen bemurmelten seine Idee zustimmend. Auf dem Platz vor der Galerie nieselte es. Fünf ältere Herren im Sonntagsstaat standen dort unter Regenschirmen. Sie hielten ein Transparent. „Stasis: Erpresser, Zersetzer, Verschlepper.“ Um gehört zu werden, hatten sie einen Kassettenrekorder mitgebracht. Großmann kennt die „Opfer des Stalinismus“, wie die da draußen sich nennen. Sie sind in seinem Alter. Wegen des Gemurmels der Senioren drinnen und des Lärms der Senioren draußen war Großmann kurze Zeit nicht zu verstehen. „Ins Mikrofon beißen“, empfahl einer. „Geht nicht. Das halten meine Dritten nicht aus.“ Großmann lachte. Die Protestierer packten ihre Sachen. MATTHIAS BRAUN