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Archiv-Artikel

„Ich hätte nicht aufgegeben“

Lea Rosh

„Ich war neulich einen ganzen Tag zu Hause und musste wirklich nüscht machen, und hab nur gedacht: Das ist ja wirklich grauenhaft“

Ihre Visitenkarte hat die Form eines roten Streichholzheftchens. Vielleicht ist das schon ein subtiler Hinweis darauf, dass sie keiner hitzigen Debatte aus dem Weg geht. Lea Rosh ist, gemeinsam mit dem Historiker Eberhard Jäckel, Initiatorin des Berliner Denkmals für die ermordeten Juden Europas. Geboren 1936 in Berlin Dahlem, studierte die Journalistin dort zunächst Geschichte, Politik und Publizistik. Obgleich die deutsche Biografie-Enzyklopädie „Munzinger“ sie nicht führt, ist Rosh seit 40 Jahren als Moderatorin und Dokumentarfilmerin bekannt. 1991 wurde sie sogar der erste weibliche Funkhaus-Direktor, beim NDR in Hannover. „Ich werd auch mit 80 noch moderieren!“, sagt sie

Interview GABY SOHL

taz: Frau Rosh, wo wären Sie heute, wenn Sie den Kampf um das Mahnmal vor 15 Jahren nicht begonnen hätten?

Lea Rosh: Wahrscheinlich wäre ich in der Politik gelandet. Gerhard Schröder hat mir zwei, drei Angebote gemacht, als er sein Schattenkabinett in Niedersachsen aufstellte. Er wollte für mich sogar ein neues Ressort zuschneiden, Kultur und Medien. Walter Momper hat mich auch gefragt, als er Regierender Bürgermeister von Berlin werden wollte. Ich hätte gerne zugesagt, aber damals war mein Fernsehvierteiler „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“ noch nicht fertig. Dieser Film, den ich mit Eberhard Jäckel gemacht habe, dokumentiert die Deportation und Vernichtung der europäischen Juden. Ich habe dafür mit so vielen Menschen gesprochen, die zum ersten Mal vor der Kamera ihre Geschichte erzählten, es gab dabei seelische Zusammenbrüche – da kann man nicht einfach sagen, na ja, jetzt mach ich mal was anderes.

Sie haben später viele Diffamierungen einstecken müssen: „Blinde Gedenkdomina“ hat man Sie genannt, „Vierteljüdin“, von Ihrem angeblich zurechtgebasteltem jüdischen Namen gesprochen. Wie hält man Häme über so viele Jahre aus?

Erstens: wegen der Opfer. Selbst wenn noch mehr Dreck geschmissen worden wäre – ich hätte nicht aufgegeben. Das ist das eine. Das Zweite ist, wenn man so einen Kampf aufsteckt, nimmt kein Hund mehr ein Stück Brot von einem! Da muss man durch. Ich gebe aber zu, ich hatte eine Gürtelrose. Das ist kein Zufall, denke ich. Es war schon schwer, sehr bitter. In diesen Auseinandersetzungen habe ich aber auch viele neue Freundschaften gefunden. Mein Mann Jakob, ebenso wie Eberhard Jäckel, war eine große Hilfe. Man bekommt beides. Es geht an die Substanz, aber man weiß dann, woran man miteinander ist. Man wird natürlich auch poröser, empfindlicher. Abgebrühter bin ich Gott sei Dank nicht geworden.

Misstrauischer?

Nee, ich bin eigentlich zu wenig misstrauisch. Aber wenn heute jemand sagt: Lea, du kannst mir vertrauen, dann weiß ich, dass das nicht immer stimmt.

Sie haben fast alle Rollen, die auf der Medienbühne zu haben sind, gespielt. Jetzt schreiben Sie an einem Theaterstück. Komödie oder Tragödie?

Darüber darf man noch nicht reden – kann ja sein, dass ich es wieder einstampfe. Das ist eine Kunst, die viel schwieriger ist, als man zuerst denkt, man sieht ja immer nur die gelungenen Stücke.

Sie haben vor drei Jahren einen Montagssalon gegründet, der jetzt im Gorki Theater stattfindet. Welches Stück spielen Sie da?

Wir spielen das Stück „Es gibt heute mal kein Polittheater“. Dass der Salon in einem richtigen Theater stattfindet, finde ich sehr reizvoll, weil es mir immer um ernsthafte Dialoge gegangen ist. Ich bringe die Gäste und die geladenen Fachleute und Prominenten miteinander ins Gespräch. Schlechtes Theater wird ja oft genug gespielt. Und Intrigenspiele in der Politik haben wir ja nun auch reichlich. Ich mag keine missgünstigen Inszenierungen. Hier geht es mir darum, dass die Leute einander zuhören, auch mal ihre eigenen Positionen in Frage stellen. So oft bietet sich ja nicht die Gelegenheit, einfach mal mit Herrn Schäuble zum Beispiel ins Gespräch zu kommen. Wir hatten auch Claus Peymann zu Gast, Joachim Gauck und die erste UN-Waffeninspektorin im Irak.

Heute Abend steht in Ihrem Salon das Spiel um Kunst und Geld auf dem Programm.

Peter-Klaus Schuster, der Generaldirektor der Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz, wird sich mit Hartwig Piepenbrock unterhalten, dem Osnabrücker Sammler und Mäzen, der den europaweit höchstdotierten Preis für Skulptur ausschreibt. In Berlin hat sich die Kunstförderung nach dem Krieg sehr schwer angelassen, und die finanzielle Situation der Berliner Museen ist heute äußerst dramatisch. Kein Vergleich mit der Museumswelt nach 1900, als Mäzenatentum in Berlin vor allem von wohlhabenden jüdischen Bürgern kultiviert wurde. Wie heute gesammelt wird, wer stiftet oder sponsert, wohin welche Sammlungen geschenkt oder verkauft werden und wie Berlin neue Aspekte der Förderung entdecken kann – darüber werden wir mit Herrn Schuster und Herrn Piepenbrock sprechen.

Wird es auch um das Nacht-und-Nebel-Spiel gehen, mit der die Flick-Sammlung in Berlin aufgetrumpft hat?

Nein. Bei dieser Veranstaltung geht es mir ausschließlich um das Thema Mäzene und die Situation der Staatlichen Museen. Die Flick-Diskussion ist eine eigene Geschichte.

Zürich, London und New York haben der Flick-Sammlung die rote Karte gezeigt und wollten sich an dem Pokerspiel um die polierte Erbschaft nicht beteiligen. Empört Sie die Berliner Strategie?

Aus der Sicht der Museen und der Stadt kann ich die Strategie verstehen. Sie hat ja auch funktioniert: Die Sammlung kommt. Man kann gerade diese Sammlung aber nicht einfach sang- und klanglos unserer Stadt einverleiben und dann hoffen, es gibt nur Standing Ovations. Man muss schon fragen dürfen, wie der Reichtum des alten Flick zustande kam. Natürlich hat dieser Flick, der Enkel, nichts mit dem Verbrechen des Großvaters zu tun. Dennoch ist ein Teil dieses Vermögens, auch wenn er es hinterher auf andere Art und Weise gemehrt hat, in der Zeit des Nationalsozialismus entstanden. Nach wie vor bin ich der Meinung, dass man das bereden soll, darf und sogar muss! Die Geschichte der Familie Flick, allerdings auch die Geschichte der Familien Quandt, Krupp, Thyssen, muss den Besuchern der Sammlung dokumentarisch zugänglich sein. Kultursenator Flierl hat ja schon angeboten, eine Ausstellung über die Familiengeschichte Flick zuzulassen. Und zwar nicht, wie unterstellt wurde, weil ich es ihm abgeschwatzt habe. Ob die Stadt diesen Ort finanziert oder sich ein Kreis von Interessenten findet – schaun wir mal. Aber ich will hier nicht die Flick-Diskussion nachholen.

Sie machen keine Auftritte durch die Hintertür.

Nein. Wozu auch? Ich halte mich immer an mein Thema – sonst kommt ja auch kein Gespräch zustande, das in die Tiefe geht. Was ich nicht leiden kann, ist, wenn auf Podien nur gewartet wird, bis der andere Luft holt, um dann zurückzuhacken. Das ist nicht mein Stil.

Spielen Sie auch was Wortloses fürs Ohr – ein Instrument?

Klavier, ein bisschen. Ich habe einen wunderbaren Bechsteinflügel bei mir zu Hause stehen, hab aber jahrelang nicht gespielt. Damit möchte ich bald wieder anfangen, aber dafür muss die Seele ein bisschen frei sein. Ich höre sehr viel Musik – Schubert, Bach, Chopin. Von Musik und auch von Wirtschaft will ich viel mehr verstehen. Ich überlege, ob ich nicht noch mal studiere.

Mit 66 wollen Sie noch mal die Studentinnenrolle spielen?

Ich habe große Wissenslücken. Lernen ist für mich wie Atmen. Und es gibt noch so viele Sachen, über die ich nichts weiß oder zu wenig. In Wirtschaft bin ich richtig blöd, das darf nicht sein, finde ich.

Warum dürfen Frauen in den Medien nicht mehr mitspielen, wenn sie älter werden?

Das ärgert mich tierisch! Dieser Jugendwahn. Bei Frauen werden immer noch andere Maßstäbe angelegt. Wenn Reich-Ranicki mit 82 noch moderiert – das könnt ich auch! Herr Bresser ist 66, und Herr Böhme war nun ooch 70. Aber so sind die Jungs im Fernsehen. Da gibt’s noch viel zu tun.

Haben Sie manchmal auch gesprächsfrei? Keine Arbeit?

„Was ich nicht leiden kann, ist, wenn auf Podien nur gewartet wird, bis der andere Luft holt, um dann zurückzuhacken“

Ich war neulich mal einen halben Tag zu Hause und musste wirklich nüscht machen und hab nur gedacht: Das ist ja grauenhaft – keen Telefonat und keene wichtige Post, ist ja alles wie abgerissen! Also ab ins Büro! Ich kann mir ein Leben ohne Arbeit gar nicht vorstellen!

Sie spielen gerne mit Rezepten in guter Küche – was kommt bei Ihnen auf den Tisch?

Im Winter gibt’s bei mir Fasan oder Rebhuhn, Wildente, sehr guten Rotwein, zu Fasan auch Weißwein. Und im Sommer mache ich Saltimbocca, viel Fisch – Saibling, Zander –, seitdem wir das alles wieder kriegen, das hab ich nämlich vor der Wende nicht gekannt. Ich koch nicht stundenlang, bei mir geht auch das Kochen sehr schnell, aber ich glaub, ich koch ganz gut. Ich esse sehr gern! Thailändische Küche finde ich fantastisch. Schlecht essen ist was Furchtbares.

Hat Sie die wissenschaftliche Laufbahn nie gereizt?

Nee, dazu war ich zu quirlig, zu oft vom Schreibtisch weg. Aber dass ich meinen Doktor nie gemacht habe, das ärgert mich bis heute. Dafür habe ich extra das große Latinum gemacht, und dann kam die praktische Arbeit, und ich bin in den Hörfunk abgedriftet. Den Titel hätte ich so gern gehabt, aber ob ich das noch schaffe, weiß ich wirklich nicht.

Gibt es denn eine Rolle, die Sie nie gespielt haben – und es sehr bedauern?

Wenn man älter wird, denkt man ja auch darüber nach, was man alles nicht mehr tun kann. Ich war nie Ministerin. Das finde ich wirklich schade.

Reine, harmlose Zufriedenheit mit sich und der Welt, das kennen Sie gar nicht, oder?

Ich glaube, ich hatte schon immer Angst, innerlich einzuschlafen, einzurosten. Ich bin mir aber sicher, dass das nicht passieren kann.