: Türkische Industrielle jetzt an der Spree
Mit dem ersten deutschen Vertretungsbüro will die türkische Industrie in der Hauptstadt Lobbyarbeit betreiben
Am Märkischen Ufer, derselben Ostberliner Straße also, wo einst die türkischen Kommunisten im DDR-Exil bis zur Wende ihre Gäste unterbrachten, ziehen offiziell morgen die Vertreter des türkischen Kapitalismus ein. Tüsiad, so nennt sich der einflussreiche Verband der Industriellen und Unternehmer der Türkei, kommt damit endlich nach Deutschland. Bisher waren die türkischen Unternehmer nur in Brüssel vertreten, am Sitz der EU.
Die Politik würdigt diesen Schritt in die deutsche Hauptstadt: Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan fliegt zur Eröffnungsfeier ein, auch Bundesinnenminister Otto Schily ist angemeldet.
Dabei war die Rolle des Tüsiad in der Türkei zumindest früher sehr umstritten. In der verbandseigenen Darstellung heißt es, man habe sich bis 1980 primär für ein liberalisiertes Wirtschaftssystem engagiert. Tatsächlich unterstützten die Industrielobbyisten in den 70er-Jahren fragwürdige rechte und Rechtsaußen-Bündnisse. Die Liberalisierung in den 80ern setzte sich durch einen blutigen Militärputsch ein und führte zu einem wilden Kapitalismus. In den 90er-Jahren jedoch, heißt es in der nüchternen Darstellung der eigenen Verbandsgeschichte, habe der Tüsiad erkannt, dass „die wirtschaftliche Liberalisierung von der politischen Liberalisierung begleitet werden muss“. Seitdem habe sich die Verbandspolitik gewandelt, „sie stehen heute ernsthaft für Demokratie und eine EU-Mitgliedschaft“, meint Aydin Engin, als früherer Chefredakteur einer linken Tagszeitung einst harter Kritiker der Industriellen und ihrer politischen Haltung.
Mehpare Bozyigit, Leiterin der neuen Berliner Vertretung, sagt: „seit Gründung des Verbandes 1971 bekennen wir uns zu den westlichen Werten“. Tüsiad will sich daher in Berlin zur Aufgabe machen, Lobbyarbeit für die Vollmitgliedschaft der Türkei in der EU zu leisten. Das neue Berliner Büro, durch das 60 Prozent der türkischen Wirtschaft ein Sprachrohr in der deutschen Hauptstadt haben werden, ist dabei nur der erste Schritt, denn Deutschland zählt – ist es doch der größte Handelspartner der Türkei. Rund 1.000 deutsche Unternehmen investieren etwa 4 Milliarden US-Dollar in dem Land am Bosporus, Siemens und DaimlerChrysler gehören zu den wichtigsten Großinvestoren. Sie und die anderen deutschen Tüsiad-Mitglieder waren es schließlich, die auf ein Büro in Berlin bestanden, sagt Bozyigit. Ministerpräsident Erdogan selbst muss auch für die Konkurrenz werben. Am Mittwoch will er mit den Vertretern von Müsiad frühstücken, der islamisch gefärbten Konkurrenz. CEM SEY