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Archiv-Artikel

Schule auf Reformwegen

Am Montag beginnt das neue Schuljahr. Durch das neue Schulgesetz müssen sich Lehrer und Schüler auf zahlreiche Neuerungen einstellen. Nicht alle sind gut vorbereitet. Die wichtigsten im Überblick

VON SABINE AM ORDE

Richtig gut gelaufen ist das in diesem Jahr nicht. Kaum hat der Sommer wirklich angefangen, sind in Berlin die Sommerferien vorbei: Am Montag beginnt das neue Schuljahr. Allein die Erstklässler haben noch ein paar Tage frei: Sie werden erst am Samstag drauf eingeschult. Für SPD-Bildungssenator Klaus Böger ist es „das Jahr 1 nach dem neuen Schulgesetz“. Und das bringt bereits viele Veränderungen, wenn auch die meisten Reformen erst im Schuljahr 2005/2006 greifen werden. Hier ein Überblick über das, was sich ab Montag an den hiesigen Schulen ändert:

Deutschkurse

Künftig sollen Migrantenkinder, deren Deutschkenntnisse nicht ausreichen, vor Schulbeginn zu Sprachkursen verpflichtet werden – wenn sie keine Kita besuchen. Im Zuge der Schulanmeldung im November werden die Sprachkenntnisse der Kinder überprüft. Dazu wird nicht mehr flächendeckend der Sprachtest „Bärenstark“ eingesetzt. Nur bei Kindern, bei denen ein Defizit vermutet wird, werden die Deutschkenntnisse mit dem Test „Deutsch plus“ überprüft. Im Februar beginnt der Kurs. Kritiker bemängeln, dass dieser nur aus zehn Wochenstunden besteht. Er wird nur einen Bruchteil der Kinder erreichen. Denn 96 Prozent der Erstklässler in Berlin besuchen eine Kita oder die Vorschule. Letztere allerdings wird zum Schuljahr 2005/2006 abgeschafft.

Rauchverbot

Für den meisten Diskussionsstoff an den Schulen dürfte eine Neuerung sorgen, die mit dem Schulgesetz nichts zu tun hat: das Rauchverbot, das das Abgeordnetenhaus kurz vor der Sommerpause beschlossen hat. Alle Schulen haben in den Ferien ein Rundschreiben des Bildungssenators bekommen. Danach ist „ab sofort“ das Rauchen auf dem gesamten Schulgelände untersagt. Das heißt: Raucherecken für SchülerInnen wie auch Raucher-Lehrerzimmer müssen abgeschafft werden. „Es gibt keine Übergangsfristen“, sagte Böger gestern. „Das ist vorbei.“ In vielen Schulen ist diese Entscheidung umstritten.

Naturwissenschaften

Fünftklässler bekommen künftig das Unterrichtsfach Naturwissenschaften mit vier Stunden pro Woche. Im darauf folgenden Jahr wird es in Klasse 6 fortgesetzt. Themenfelder sollen zum Beispiel „Sonne – Wetter – Jahreszeiten“, Umgang mit Stoffen im Alltag oder „Sinne – Körper – Gesundheit“ sein. Ganz neu ist das nicht. Bis 1992 gab es das Fach „Technik und Naturwissenschaft“, das damals eingespart wurde. In der Schulverwaltung geht man davon aus, dass 1.400 LehrerInnen aufgrund ihrer Vorbildung dieses Fach unterrichten könnten. Fortgebildet sind sie noch nicht.

Abitur nach 12 Jahren

Wer jetzt in die 5. Klasse kommt, soll schon nach 12 Jahren Abitur machen. Daher wird es in den Klassen 5 bis 12 mehr Unterricht geben. Zunächst bekommen deshalb die Fünftklässler drei Stunden mehr Unterricht. Zum Teil fließen die Naturwissenschaftsstunden hier mit ein.

Vergleichsarbeiten

Im vergangenen Schuljahr gab es sie erstmals verpflichtend in den Klassen 2 und 10, jetzt werden sie auch für die Viertklässler eingeführt: die flächenden Vergleichsarbeiten. Sie sollen den Leistungsstand der einzelnen SchülerInnen, aber auch der LehrerInnen und der Schulen ermitteln. Die Viertklässler müssen Vergleichsarbeiten in Deutsch und Mathematik schreiben.

Neue Rahmenpläne

Für die Grundschulen gelten für alle Fächer neue Rahmenpläne, die zum Teil mit Brandenburg, Bremen und Mecklenburg-Vorpommern gemeinsam erarbeitet und beschlossen wurden. Das ist bislang bundesweit einmalig. Der Unterricht soll sich stärker an verbindlichen Leistungsstandards orientieren, das schafft Freiräume für die Unterrichtsgestaltung. Erstmals werden Mindestleistungen benannt, die alle SchülerInnen erbringen müssen. Mit Lerntagebüchern, die die SchülerInnen führen sollen, und verbindlichen Vergleichsarbeiten soll regelmäßig überprüft werden, ob die Ziele erreicht wurden.

Mehr Mitsprache

Die Schulkonferenz, also das Gremium, in dem Lehrer, Eltern und Schüler zu je einem Drittel vertreten sind, bekommt größeres Gewicht. Sie entscheidet zum Beispiel über das Schulprogramm, das sich jede Schule geben soll – und damit auch über die pädagogischen Schwerpunkte der Einrichtung. Auch über die Verteilung begrenzter Mittel wird künftig in der Schulkonferenz entschieden. Neu ist auch, dass eine schulfremde Person in die Schulkonferenz gewählt wird. Das kann zum Beispiel ein Unternehmer oder ein Künstler sein. „So soll die Verbindung zur Gesellschaft gestärkt werden“, sagt Böger.

Selbstständige Schulen

Die Eigenverantwortung der Schulen wird gestärkt. Für den Bildungssenator ist das „der Kern des Schulgesetzes“. Dafür werden den Schulen neue Gestaltungspielräume eröffnet, darunter bei der Entwicklung von Schulprogrammen, der Auswahl der Lehrkräfte, der Verfügung über Finanzen. Insgesamt wurden fast 1.000 Ausführungsverordnungen und Rundschreiben außer Kraft gesetzt, um die Schule etwas zu entbürokratisieren.

Mehr Praxisnähe

Die Hauptschulen bekommen Praxisklassen, um schulmüden Jugendlichen mehr Anreize zu geben und ihnen Wege in die Ausbildung zu ebnen. Allerdings bekommen sie dafür nicht mehr Personal, auch Kooperationspartner aus der Wirtschaft werden vielerorts noch verzweifelt gesucht.

Hochbegabtenförderung

Künftig soll es nicht nur Sommercamps auf der Insel Scharfenberg geben, sondern auch zusätzlichen Nachmittagsunterricht für Hochbegabte.