: Rund um und gegen die Uhr
In 86.400 Sekunden beschreibt „24“ den längsten Tag im Leben des FBI-Agenten Jack Bauer – in Echtzeit, mit tickenden Chronometern und einem Kiefer Sutherland, der sein furioses TV-Comeback feiert (20.15 Uhr, erstaunlicherweise auf RTL 2)
von OLIVER NAGEL
Jack Bauer (Kiefer Sutherland) rennt. Kurz nach Mitternacht ist es, als er einen Anruf erhält und in die CTU, die Counter Terrorist Unit in Los Angeles, deren Chef er ist, einbestellt wird: Die CIA hat von einem innerhalb der nächsten 24 Stunden geplanten Terrorangriff auf den ersten schwarzen Präsidentschaftsanwärter der USA, Senator David Palmer, erfahren und davon, dass die Terroristen einen Helfer in den Reihen von Jacks Kollegen haben. Jacks Aufgabe ist es, den Anschlag zu verhindern und den Maulwurf zu enttarnen. Schnell wird klar, dass auch Jacks Familie in Gefahr ist: Seine Tochter (Elisha Cuthbert) wird entführt. Agent Bauer hat also mehr als genug zu tun. Und die Zeit läuft ihm davon.
Eine Agentenserie also, eine mit dem Plot eines Spielfilms, mit reichlich Action, unerwarteten Wendungen und der richtigen Dosis Herz, die ihren besonderen Thrill aber aus ihrer ungewöhnlichen Struktur zieht: Sie spielt in Echtzeit, von 0.00 bis 24.00 Uhr, aufgeteilt in 24 Folgen à eine Stunde. Dieser Dreh hat weitreichende Konsequenzen, für die Produzenten der Serie wie für den Zuschauer. In der Produktion bedeutet das künstliche Einschränkung, die Kreativität freisetzt, ähnlich wie die Regisseure der „Dogma“-Filme aus dem Verzicht auf künstliches Licht, Nachvertonung und ausgefeilte Kameratechnik eine innovative Filmsprache entwickelten. „24“ rückt den Fetisch Zeit in den Mittelpunkt und ordnet die Dramaturgie gewissermaßen darum herum neu an. Handlungsstränge müssen unter dem Diktat der Uhr passgenau verzahnt werden, wenn Jack Bauer von zu Hause in die CTU- Zentrale fährt, dann ist er für diese Zeitspanne aus dem Spiel.
Auf der sichtbaren Ebene spielen Uhren konsequenterweise eine dominante Rolle, so dominant, dass sogar ein Mitarbeiter der Crew ausschließlich für die korrekte Zeit auf allen sichtbaren Uhren verantwortlich war. Nicht nur wird vor und nach den Werbepausen, die selbstverständlich berücksichtigt sind, eine Uhr eingeblendet, auch innerhalb der Handlung spielt die Zeit mal eine größere, mal eine kleinere Rolle. Als Jacks zwielichtiger Kollege George Mason (großartig: Xander Berkeley) vorgibt, mit seinem Vorgesetzten zu telefonieren, hört der Zuschauer, wen er wirklich anruft, um Jack zu täuschen – natürlich die Zeitansage.
Telefonate sind generell ein tragendes Element, sie verbinden die handelnden Personen und motivieren den in vielen 60er-Jahre-Filmen so beliebten „Split Screen“: Der Bildschirm wird in bis zu fünf Einzelbilder geteilt, die nicht nur die Telefonierenden an ihrem jeweiligen Standort zeigen, sondern auch den Status quo vieler Figuren über die Folge hinweg immer wieder aktualisieren.
Für den Zuschauer bedeutet die Echtzeit Vor- und Mitwissen: Das Flugzeug, von dem man erfährt, dass es „in etwas mehr als einer Stunde“, ergo um halb zwei landen soll, wird also ab Mitte der nächsten Folge eine Rolle spielen. Es heißt aber auch, dass der Zuschauer der drängenden Frage „Was kommt als Nächstes?“ ausgesetzt ist. Das ist dem fortgeschrittenen Medienkonsumenten aus anderen Zusammenhängen geläufig, etwa dem des Computerspiels, das fast immer in Echtzeit abläuft. Jack Bauer hetzt quasi von einem Level zum nächsten, muss Rätsel lösen, Feinde überwältigen oder täuschen und innerhalb knapper Zeitlimits von Ort zu Ort rasen, als sei er Sam Fisher in „Splinter Cell“ oder Tommy Vercetti in „Grand Theft Auto – Vice City“, wie der Gamer ins Spiel wird der Zuschauer in „24“ geradezu hineingesogen.
Gleichzeitig aber liest man Echtzeit auch als typisches Merkmal der Katastrophenberichterstattung, die live vom Ort des Geschehens überträgt und mittels Newsbar zusätzliche Informationen über den Schirm tickern lässt, was suggerieren soll: Es passiert so viel, dass auf einem Bildschirm gar nicht genug Platz ist – und es passiert wirklich.
In diesem Spiel mit den Medien und ihren Ausformungen liegt allerdings auch der Haken: „24“ ist Fernsehen für Fortgeschrittene, das in den USA mittlerweile mit Serien wie „West Wing“ und „Six Feet Under“ fest etabliert ist, ja bereits als neue Ära der TV-Unterhaltung gewertet wird. Ob zehn Emmy-Nominierungen und ausufernder Fan-Kult (Hardcore-Fans sehen sich alle 24 Folgen an einem Tag an!) den deutschen Zuschauer so beeindrucken, dass er die nötige Disziplin beim Gucken an den Tag legt, wird sich zeigen müssen. Zumal die Serie auf dem nicht gerade für innovative Formate bekannten Sender RTL 2 läuft. Immerhin sind die Verantwortlichen dem Zuschauer ein bisschen entgegengekommen und zeigen alle Folgen in einem Monat, je zwei pro Abend, immer dienstags, freitags und sonntags um 20.15 Uhr. Serienstart ist am 2. September.