: Jemand will eine Mauer bauen
Alarm +++ Regierung verschärft Sicherheitsmaßnahmen nach Drohung +++ Alarm
BERLIN taz ■ Achtung, Achtung, soeben erreicht uns eine dringende Meldung: Die Sicherheitsdienste der Bundesrepublik warnen vor bisher nicht identifizierten Terrorgruppen, die den Bau einer Mauer planen sollen. Das geht nach Informationen des Bundesnachrichtendienstes aus Material von 1961 hervor, das seitdem aber ständig aktualisiert wurde. Offenbar handeln die Gruppen in der Absicht, eine größere deutsche Stadt in zwei Hälften zu trennen. Nach Einschätzung des Bundesinnenministeriums könnte sich das Szenario auf München, Hamburg, Köln oder Berlin beziehen. Genaue Festlegungen seien zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht möglich. Der Bevölkerung in den möglicherweise betroffenen Gebieten wird empfohlen, Bettlaken zum Knüpfen von Strickleitern, Stadtfallschirme und Konserven für mehrere Wochen bereitzuhalten. Die vereinigten Wohlfahrtsverbände Deutschlands erklärten, künftige Bezieher von Arbeitslosengeld II sollten entgegen anderslautender bisheriger Empfehlungen ihre Ersparnisse und die ihrer Kinder nicht so schnell wie möglich in Sachwerte umsetzen. Vielmehr sei damit zu rechnen, dass Devisen in näherer Zukunft erhöhte Bedeutung zukommen werde. Wie ein Sprecher mitteilte, wurde für den Verkauf von Mischbeton, Mörtel, sowie von Hämmern und Kellen bis auf Weiteres Alarmstufe drei eingeführt. Alle Personen, die Handel mit diesen Materialien beobachten, werden gebeten, sachdienliche Hinweise der Polizei zu übermitteln.
Bundeskanzler Schröder unterbrach seine Italienreise und erklärte die Situation angesichts der Drohungen umgehend zur Chefsache. „Wir sind eine Nation in Gefahr“, sagte Schröder und kündigte eine Kabinettsumbildung an. Auf die Ausrufung des Ausnahmezustands wurde bisher verzichtet. Innenminister Schily will so schnell wie möglich Verhandlungen über innereuropäische Auffanglager für Maueropfer aufnehmen. Befreundete Dienste waren schon in der Nacht zu Donnerstag über die Drohungen informiert worden. Von Journalisten geäußerte Zweifel an der Aktualität der Informationen über einen eventuellen Mauerbau in Deutschland wies Schily zurück.
In Berlin machten die Parteien sich vor dem Hintergrund der nahenden Bundestagswahlen gegenseitig für die entstandene Lage verantwortlich. Die Opposition warf Rot-Grün vor, mit der Agenda 2010 unerträgliche soziale Spannungen hervorgerufen zu haben, die nun in Terrordrohungen eskalierten. CDU-Generalsekretär Meyer forderte umgehende Neuwahlen. Er kündigte an, im Falle eines Wahlsiegs der Union vergleichbare Situationen, so wörtlich, „einfach besser“ in den Griff zu bekommen. Der bayerische Ministerpräsident Stoiber kritisierte, hier räche sich der jahrelange Zickzackkurs der rot-grünen Regierung bei der Rasterfahndung nach Schwarzarbeitern. Seit Jahren weise er auf illegale Trainingscamps für Bauarbeiter in Österreich, Polen und Holland hin, ohne aber jemals eine Reaktion erhalten zu haben. Nun sehe man, wohin das führe. Die FDP sah ihren Deregulierungskurs bestätigt.
Vertreter des Regierungslagers interpretierten die Drohungen hingegen als Reaktion auf den unionsinternen Streit um verschiedene Modelle zur Finanzierung der Krankenversicherung. Die SPD will am kommenden Montag über die Einberufung eines Sonderparteitags entscheiden. Nach Ansicht der Grünenpolitikerin Claudia Roth frieren die Menschen in der sozialen Kälte und suchen dann an Mauern Schutz vor politischen Stürmen. Als einzige Partei hält die PDS die Warnung vor dem Bau einer Mauer mitten in Deutschland für übertrieben. „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten“, sagte ein PDS-Sprecher. Innerparteiliche Kritiker schlossen einen Mauerbau in Westdeutschland allerdings nicht aus.
Da über zeitliche oder örtliche Details des mutmaßlichen Mauerbaus aus Geheimhaltungsgründen keine Angaben gemacht wurden, rät die Bundesregierung allen Bürgern, sich vorsichtshalber in Alarmbereitschaft zu halten. Unter der kostenpflichtigen Rufnummer 0180 455433447 können Broschüren über die private Organisation einer nachbarschaftsintegrierten Tag- und Nachtwache sowie über Sprung-, Wurf- und Sprint-Techniken abgerufen werden. Anlass zu unmittelbarer Besorgnis besteht nach Angaben des Bundesinnenministeriums aber nicht.
JUDITH HEITKAMP