PHILIPP MAUSSHARDT über KLATSCH : Ein ganz gefährliches Kraut
Letzte Woche bekochte ich die Bewohner des Dorfes Talla mit Sauerkraut und „Bubaspitzla“. Jetzt ist Berlusconi fällig
Wenn Historiker dereinst die Ära des italienischen Regierungschefs Silvio Berlusconi in die Phasen Aufstieg, Amtszeit und Fall einteilen, wird der Donnerstag vergangener Woche eine entscheidende Rolle spielen. Dieser Donnerstag wird als jener Tag in die Geschichte der italienischen Republik eingehen, an dem der Niedergang eines mächtigen Politikers mit Hilfe einer Sauerkrautdose eingeläutet wurde.
Talla, jenes kleine Dorf, das geografisch ziemlich genau die Mitte Italiens darstellt, ist so etwas wie das politische Fieberthermometer der Nation. Die Wahlergebnisse des Gemeinderats nehmen immer schon die Entwicklung in Rom voraus. Wählen die Talleser rechts, gewinnen bei den folgenden Nationalwahlen die Konservativen im ganzen Land. Wählen sie links, wechselt kurze Zeit später auch die Regierung. Wer Talla hat, hat ganz Italien.
In vielen Kommunen Italiens wird der unerträgliche Sommer dadurch überbrückt, dass jeweils im Wechsel mal das Wahlbündnis der Linken, dann wieder das Wahlbündnis der Rechten auf dem Dorfplatz ein mehrtägiges Fest ausrichtet. Selbstverständlich gibt es bei beiden Nudeln und Pizza zu essen, und jeweils spielt eine Kapelle zum Tanz auf. Was sich für Außenstehende so harmlos anhört, hat jedoch weit reichende Folgen: Denn wer die bessere Nudelsoße macht und die besser Tanzmusik bietet, hat auch die nächste Wahl so gut wie in der Tasche. Leider war die Wildschweinsoße der Rechtspopulisten von Talla in den vergangenen Jahren unschlagbar – mit den geschilderten Folgen für ganz Italien.
Zwar versuchten Ugano, Chef des linken „Olivenbündnisses“ von Talla und seine Mitstreiter durch allerlei Tricks an das Rezept zu gelangen, doch ohne Erfolg. Die Berlusconi-Anhänger hielten die Zubereitung der Soße streng geheim, und so schien auch dieses Jahr wieder der Kampf um Wählerstimmen bereits entschieden, als Ugano auf eine geniale Idee kam. Montag vergangener Woche klingelte mein Telefon und Ugano bat mich, zum Auftakt des „Unita“-Festes einen „piatto tipico tedesco“ – ein typisch deutsches Gericht zuzubereiten. Noch am selben Abend rief ich in Deutschland an und bat meine Nichte, mir eine Zehnkilodose Sauerkraut von Feinkost-Böhm aus Stuttgart mitzubringen.
Ich hatte nämlich entschieden, den Italienern Schupfnudeln mit Speck und Kraut vorzusetzen, ein eher süddeutsches Gericht, das der Form der Schupfnudeln wegen auch unter dem Namen „Bubaspitzla“ bekannt ist und mit „Jungenschwänzchen“ nur unzureichend ins Hochdeutsche übersetzt werden kann. Die „Bubaspitzla“, eine Art Gnocci aus Kartoffelmehl, mussten die Überraschung des Dorffestes werden und dermaßen gut schmecken, dass die Wildschweinsoße der Konservativen nicht länger mehr die Politik Italiens bestimmen konnte. Schon am Tag vor dem Fest bereiteten mehrere Exildeutsche den Kartoffelteig vor. Nun fehlte nur noch das Sauerkraut, das am Donnerstagmorgen mit dem Flug von Hapag-Lloyd von Stuttgart kommend auf dem Flughafen in Pisa eintreffen sollte.
Das Flugzeug war pünktlich. Die Nichte stand am Ankunftsschalter. Nur die Tasche mit der Zehnliterdose Sauerkraut war nicht dabei. Zufall? Sabotage? Oder war sie als Bombe verdächtigt worden? Bei der Gepäckermittlung am Flughafen hatten sie keine Idee, wo das Kraut geblieben sein könnte, doch versprachen sie hoch und heilig, die Dose, sobald sie auftauchte, per Kurier nach Talla zu bringen. Ich kann mich an keine peinlichere Situation erinnern, als eben diese: Am Schalter eines italienischen Flughafens zugeben zu müssen, dass man eine Tasche vermisst, in der sich nichts anderes befindet als zehn Kilo Sauerkraut. Aber da musste ich durch. Es ging nicht um mich. Es ging um ganz Italien.
Der Kurierfahrer mit der Dose traf am Nachmittag tatsächlich noch rechtzeitig ein. Die „Jungenschwänzchen“ wurden ein voller Erfolg. In wenigen Minuten war die riesige Pfanne leer gegessen. Ganz Talla spricht nur noch von diesem Gericht. Berlusconis Tage sind gezählt.
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