Von Österreich kämpfen lernen

Die Wissensgewerkschafter der GEW sind die stärksten Befürworter eines eigenen Tarifvertrags für Forscher und Dozenten. Von Wiener Kollegen wollten sich die GEWler auf der Insel Sylt ermutigen lassen – und bekamen eine Lehrstunde in Deregulierung

„Wir können uns nicht verweigern, die Forscher und Assistenten dürfen nicht auf der Straße landen“

aus List auf Sylt CHRISTIAN FÜLLER

Plötzlich ging es im Nordseeheim zu wie auf einer Waldhütte. „Die östereichische Universitätsreform ist mehr als Sparen“, schimpfte der Mann im alpenländischen Idiom, „es erlaubt privaten Anbietern den Zugriff auf die Milliardensummen, die der Staat für Bildung bereitstellt.“ Was gerade geschehe, so ging die Tirade weiter, „ist die Realisierung von Gats in Österreich.“

Gats, das sind die Gespräche der Welthandelsorganisation über Dienstleistungen und ein Synonym dafür, wie Länder bereit sind, ihre staatlichen Hochschulen den Wolfsgesetzen des Marktes zu unterwerfen. Studiengänge wären, wenn es so weit käme, keine akademischen Angelegenheiten mehr, sondern merkantile. Bildung mutierte zu einer Handelsware, die dem Profitstreben transnationaler Universitätskonzerne diente.

Aber guten Rat wusste der aufgeregte Hans Mikosch auch nicht zu geben. Er ist kein Professor, der Austrias politische Ökonomie im Weltmarkt analysiert. Mikosch vertritt Uni-Personal. Sein Job ist es, Wissenschaftler in Wien, Graz und dem Burgenland vor den Folgen des „Universitätsgesetzes 2002“ zu schützen. Also schwankt er. „Wir können uns nicht total verweigern“, klärt er die deutschen Kollegen über die brachiale Uni-Reform der Regierung in Wien auf, „wir müssen versuchen, einen Wissenschaftstarifvertrag auszuhandeln, damit die Forscher und Assistenten nicht auf der Straße landen“.

Den deutschen Gewerkschaftern müssen die Ohren geklungen haben. Sie hatten sich auf Sylt ins Nordseeheim Klappholttal zu ihrer alljährlichen Sommerschule zurückgezogen, um die Vorzüge eines ebensolchen Wissenschaftstarifs zu feiern. Der wäre viel besser als das starre und wissenschaftsfeindliche deutsche Hochschuldienstrecht. Höhere Gehälter, viele Lebenszeitstellen, mehr Forscherautonomie, davon träumten die Mitglieder der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) noch, als sie übers Watt Richtung Sylt fuhren. Angeführt vom Sprecher der GEW-Wissenschaftsabteilung Gerd Köhler schwebte ihnen ein Tarif vor, der von der studentischen Hilfskraft bis zum Nobelpreisforscher reicht. Es geht um 460.000 Jobs in Deutschlands Wissenschaft.

Und nun zeigte ihnen der österreichische Kollege Mikosch, dass ein W-Tarif gar kein Königsweg zu sicherer Arbeit im Elfenbeinturm ist, sondern der Notausgang aus einer unhaltbaren Situation. Das Zwangsmittel, um harte Schnitte in den Unis durchzusetzen – und gleichzeitig das Forschungspersonal zu zügeln.

Noch bevor Österreich mit seinem Uni-Gesetz Studiengebühren einführte, die akademische Selbstverwaltung entmachtete und die Mittel herunterfuhr, setzte es seinen Forschern die Pistole auf die Brust. Wissenschaftler, so bestimmte ein „Übergangsdienstrecht“, bekommen noch eine befristete Stelle zwischen vier und sieben Jahren. Eine einzige – danach ist Schluss mit Philosophieren, Erkenntnissuche oder Laborexperimenten.

Für die österreichischen Wissenschaftsgewerkschaften und Hans Mikosch von der „Bundeskonferenz des wissenschaftlichen und künstlerischen Personals“ heißt das: Entweder sie bringen bis Januar 2004 einen so genannten Kollektivvertrag zustande, oder ein Großteil der Wissenschaftler steht schlicht ohne gültige Verträge da. Forschen dürfen sie. Bloß zu welchen Bedingungen? Für welches Gehalt?

„Ich hätte gerne die Zeit zu fragen: ‚Was ist eine wettbewerbsfähige Personalstruktur der Hochschule‘ “, beschreibt Ada Pellert den staunenden Deutschen die Lage, „aber wir haben sie nicht.“ Pellert ist Prorektorin für Personal der Universität Graz und eine international angesehene Personalmanagerin. Die GEWler haben sie eingeladen, um von ihr zu lernen, wie man Aufstiegschancen, Perspektiven und Kreativität der Hochschulmitarbeiter fördert. Nun sitzen sie vor einer derangierten Expertin, die feststellt: „Es herrscht eine Grunddepression, das hohe Tempo der Universitätsreformen in Österreich macht die Menschen niedergeschlagen.“

In der Tat ist die österreichische „Friss oder stirb“-Methode schlimmer als das, was Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) deutschen Wissenschaftlern zumutet. Bulmahn hat die Dauer der Qualifikation Richtung Professor auf 12 Jahre begrenzt. Danach ist, im Ausnahmefall, noch eine Anstellung möglich.

Das heiß umstrittene Befristungsgesetz Bulmahns ist freilich nur ein Grund, in Deutschland ein neues Arbeitsrecht für Forscher und Dozenten zu fordern. Das deutsche Personalrecht für Hochschulen tut ein Übriges, weil es eine schwer durchschaubare Mixtur aus überkommenen Beamtenregeln und dem Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) ist. Es regelt die Arbeitsverhältnisse der öffentlichen Verwaltung von Müllmännern über Ministerialbeamte bis hin zu Mitarbeitern der Kirchen. 4.000 Tatbestände zur so genannten „Eingruppierung“ kennt der BAT, 500 Gehaltszulagen listet er auf – bloß für die Arbeitssituation von Wissenschaftlern ist er blind.

Was dem BAT fehlt, ist die Möglichkeit, so etwas wie Personalmagement zu betreiben. Er lässt auch „kaum eine wirkliche Belohnung für gute Leistungen zu“, sagt Hans-Peter Bull. Für ihn, den Chef der NRW-Kommission zur „Zukunft des Öffenlichen Dienstes“, der wesentliche Mangel des BAT.

Die Wissenschaftssparte des GEW ist an dieser Stelle wahrscheinlich moderner als der restliche öffentliche Dienst. Die Gewerkschafter sind bereit, das „Senioritätsprinzip“ abzuschaffen, das ist die Regel des BAT, seinen Schutzbefohlenen allein fürs Älterwerden mehr Gehalt zu zahlen. Ja man verspottet es in GEW-Reihen gern als „Senilitätsprinizp“ – und fordert stattdessen Leistungselemente, die auch für junge Wissenschaftler Anreize schafft. Die Wissensgewerkschafter waren sogar bereit, die Möglichkeit von Kündigungen zu diskutieren – hinter verschlossenen Türen.

Nun aber, wenn sie die Schilderungen der österreichischen Kollegen hören, zucken sie zurück. Plötzlich erscheint der weitgehende Kündigungsschutz des BAT wieder wie eine komfortable Schutzhütte gegen neoliberale Windstürme. Die Leidenschaft der GEW für einen Wissenschaftstarif erhielt einen weiteren Dämpfer, als gewerkschaftliche Verhandlungsführer in Klappholttal auftraten. Tarifexperte Rainer Friebertshäuser von Ver.di etwa führte seinen GEW-Kollegen vor Augen, worin die Gefahr eines Spartentarifs Wissenschaft besteht: „Dass er von der Arbeitgeberseite dazu genutzt wird, Mittelkürzungen in den Wissenschaftssektor aufzufangen.“

Das ist nichts anderes als das Modell Österreich: Ein Wissenschaftstarif kann auch dazu benutzt werden, die Leistungen für Forscher zu senken – vor allem dann, wenn sie keine Streikmacht haben. „Die Frage ist immer“, warnte Friebertshäuser, „wo können wir uns durchsetzen?“

Mit der Sylter Meeresidylle der GEWler war es endgültig vorbei, als ihr eigener Tarifexperte das Projekt W-Tarif als nachrangig bezeichnete. Politische Priorität für die GEW hätten die enge Tarifkooperation mit Ver.di – und im Übrigen Erzieher und Lehrer. Das stellte GEW-Vorstand Heiko Gosch klar – und auch er vergaß nicht, mit dem Finger auf die Mobilisierungsschwäche der Wissenschaftssparte in der GEW zu zeigen.

Für einen Moment muckten die GEWler noch auf. „Ade Bildungsgewerkschaft“, kommentierten sie die Geringschätzung des Lehrers Gosch für die Wissenschaftssparte. Tatsächlich aber wissen die Wissensgewerkschafter um ihre Streikschwäche. Professoren sind Beamte – also schon von Rechts wegen streikmüde. Und auch unter Forschern, Dozenten und Habilitierten ist die Emphase für Arbeitskampf nicht eben ausgeprägt.

„Wie habt ihr das nur geschafft“, wollten die GEWler im Nordseeheim deswegen von Hans Mikosch wissen, „eure Leute auf die Straße zu bringen?“ Mikosch hatte auch dafür einen Tipp: „Wir müssen lernen – wie man gemeinsam kämpft!“