Mit seismographischen Störungen leben

Bildwechsel, der Dachverband für Frauen, Medien und Kultur, setzt auf internationale Vernetzung

von Doro Wiese

Auf die Frage, wie viele Bücher im Besitz des Künstlerinnenarchivs sind, dreht Chris Regn sich mit suchendem Blick um. ,,Nach Metern?“ fragt sie und kommt nach einer Weile stummen Zählens auf 110 Buchmeter, die in einem der Räume von Bildwechsel, dem in Hamburg angesiedelten Dachverband für Frauen, Medien und Kultur, untergebracht sind. „Aber das Künstlerinnenarchiv ist nur ein kleiner Ausschnitt unserer Sammlungen!“ gibt sie zu bedenken. „Wir haben 170 Meter extrem verstapelte Archivräume. Und eigentlich bräuchten wir mehr Platz, denn das Material wird ja nicht weniger.“

Vor 15 Jahren brachte Chris Regn, eine der Bildwechsel-Macherinnen, das Künstlerinnenarchiv von Nürnberg nach Hamburg, um es in dem Dachverband unterzubringen. Zu diesem Zeitpunkt hatte das Projekt bereits 10 Jahre auf dem Buckel. Gegründet von Studentinnen der Hochschule für Bildende Künste, sollte Bildwechsel anfangs die Präsenz von Frauen in den audiovisuellen Medien stärken. Seitdem hat sich das Projekt kontinuierlich erweitert. „Es gibt zahlreiche Themen, zu denen wir Material haben, von Malerei bis Punk.“

Stand zunächst das Video als adäquater Träger von künstlerischen Ideen im Mittelpunkt, kamen im Laufe der Zeit zahlreiche andere Materialien hinzu, so beispielsweise Graphiken, Fanzines, Comics. „Uns ging es darum, Informationen über Frauen und Feminismus zur Verfügung zu stellen. Durch unsere Vernetzungsarbeit sind aktuelle Themen in das Archivierte eingeflossen. So haben wir beispielsweise die L.A.TEX-Sammlung (Lesben-Aids-Texte), die während der Safer-Sex-Bewegung entstanden ist“, erzählt Chris Regn.

Bildwechsel soll weit mehr als Informationen und Material liefern. „Uns ist es wichtig, Begegnung und Austausch zu ermöglichen, über das Material gebeugt ins Reden zu kommen. Wir sind ein Archiv, ein Netzwerk, haben einen Bus und sind vor Ort.“

Die Möglichkeiten, die sich durch die Vielfalt der Begegnungen und des Einbringens ergeben, sind auch für Christina Schäfer wichtig, die sich ebenfalls bei Bildwechsel engagiert: „Der Austausch, die Vernetzung, die Auseinandersetzung mit den Ideen von anderen, die Bestätigung eigener künstlerischer Arbeit, die Anregungen, die man erhält – diese Bestandteile unserer Arbeit sind mir extrem wichtig. Und sie machen Spaß.“

Bring and Share sei das Motto von Bildwechsel, sagt Schäfer, während Regn hinzufügend betont, wie wichtig es ist, einen Raum für den Austausch zu haben: „Um eine Diskussion zu eröffnen, braucht man mehr als ein Heftchen. Man braucht einen audiovisuellen, materiellen Ort.“

Genau dieser Punkt ist es, der die Macherinnen von Bildwechsel beschäftigt, seitdem die Kulturbehörde die institutionelle Förderung eingestellt hat – ein Ergebnis der vollständigen Stilllegung des Frauenkulturetats. „Im Augenblick versuchen wir, Gelder durch Projektförderung und durch Beiträge von Künstlerinnen zu bekommen. Doch letztere haben oft so wenig Geld, dass sie die Spende nicht aufbringen können. Durch das Wegfallen der Grundfinanzierung wird alles schwerer, so dass es nicht mehr möglich ist, das Projekt fliegen zu lassen“, erklärt Chris Regn.

„Zu unserer Konzeption gehört es, dass wir das Material auch liegen lassen könnten. Dann ist das Ganze kein Archiv, sondern ein Haufen. Aber für uns ist es klar, dass wir mit dem Projekt leben wollen. Und darum hoffe ich, dass wir uns international vernetzen können, dass die seismographischen Störungen, die es mancherorts gibt, aufgefangen werden. Das wäre mein Ziel.“

Denn nicht nur der Erhalt, sondern das Weiterarbeiten wird von Bildwechsel für wichtig befunden. „Und bei der derzeitigen Verknappung von Ressourcen ist genau das schwierig. Am besten wäre es, wenn wir ein Haus hätten, um das Material erhalten zu können. Und zwar nicht nur den jetzigen Bestand, sondern auch für das kommende Material.“

www.bildwechsel.org

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