Schnappschüsse aus Natur und urbanem Leben

Der Kunstladen „Coconova“ in der Ehrenstraße verkauft Bilder, die das zeigen, was Menschen kennen und mögen, die das Leben ein wenig hübscher zeigen, als es ist. „Auftragsmalerei zu tollen Preisen“, lautet der Slogan. Gemalt wird des Kunden Wunschbild in Asien, wo die Kunstherstellung billiger ist

Von Ulf Kneiding

In der Kölner Ehrenstraße drängeln sich die Autofahrer im Schritttempo. Ein Parkplatz ist nie länger als zehn Sekunden frei. Die Fußgänger laufen kreuz und quer über die Straße, als wäre sie eine Fußgängerzone. Die Häuser drängeln sich wie die Autos, einige scheinen sich sogar etwas nach vorne geschoben zu haben, wodurch regelmäßig Fußgängerstaus entstehen.

Ein Laden, dessen Schaufenster für zusätzliche Stauungen auf dem engen Bürgersteig sorgt, heißt „Coconova“. Interessiert schiebt der Betrachter seine Sonnenbrille ins Haar oder verschränkt seine Arme hinter dem Rücken. Er beugt sich vor und wagt einen Blick durch die Scheibe. An den weißen Wänden des tiefen Raumes hängt eine Vielzahl großer und kleiner Gemälde, die verschiedenste, ästhetisch aufgearbeitete Motive zeigen, die ebenso skurril wie wohl bekannt scheinen. Grund genug für viele Passanten, durch die einladend offen stehende Ladentür zu treten.

Dieser Effekt ist durchaus kalkuliert, bestätigt der Geschäftsführer und selbst erklärte Kunstliebhaber Mark Stracke. „Wir gehen nicht in die Galerieviertel, sondern in die Einkaufsstraßen, um den Leuten die Möglichkeit zu geben, vielleicht über uns zu stolpern.“

Wer den Schritt über die Türschwelle wagt, betritt keine gewöhnliche Galerie. Hier wartet keine Ausstellung bekannter oder ambitionierter Künstler. Die Bilder tragen einfache Titel wie „Paprika“, „Band playin“, „Beine in Italien“, „Transistorradio“, „Containerdorf“, „Dino“, „Two Cokes“ oder „Brown Shoe“. Auch der „Hirsch“ fehlt nicht, der den Betrachter in diesem Falle zur Abwechslung mal stumm anschaut. „Coconova“ präsentiert Schnappschüsse aus Natur und urbanem Leben. Einige abstrakte Bilder vollenden die Themenvielfalt. Alle Motive – sei es die leer gefegte U-Bahnstation, die dampfende Industrielandschaft, ein überdimensional großer Fliegenkopf, eine grelle Barszene oder die Abbildung von Jeansbeinen in Adidas-Turnschuhen – erscheinen fast elegant und auf Hochglanz poliert. Hier bekommt der kultivierte und Ästhetik liebende Bürger ein in Öl getauchtes Abbild seiner Umwelt.

„Mit Kunst nichts zu tun“

Wie die Slogans im Schaufenster – „Wir malen für Sie“ und „Auftragsmalerei zu tollen Preisen“ – versprechen, erhält der Kunde sogar sein persönliches Wunschbild, ein Foto reicht aus. Das wird in den Computer gescannt, bei Bedarf ein wenig bearbeitet und schon geht die Post per Email ab nach Osteuropa oder Asien. Dort haben Stracke und sein Partner die Künstler gefunden, die sie brauchten. „Das sind Kunststudenten und sogar Professoren, die von ihrer Arbeit beziehungsweise ihrem eigenen Stil nicht leben können und sich gerne etwas dazu verdienen.“

Die globalen Handelsmöglichkeiten und die niedrigen Löhne im Osten ermöglichen es den deutschen Kaufleuten, auf einer Postkarte mit dem Text „Kunst ist bezahlbar geworden – Unikate in Öl auf Leinwand zum Spitzenpreis“ zu werben. Das Konzept ist nicht neu, „De Kunstfabriek“ in Amsterdam, deren Bilder sich jedoch mehr an klassischen Motiven orientieren, öffnete bereits vor fünf Jahren ihre Pforten. Dennoch wirft es die Frage auf, inwieweit es sich bei diesen Bildern tatsächlich um Kunst handelt.

Professor Peter Zimmermann, an der Kölner Kunsthochschule für Medien für den Bereich Malen und Zeichnen zuständig, bestätigt: „Das alles ist sehr gut gemalt.“ Die perfekte handwerkliche Leistung verwandele die Bilder jedoch nicht automatisch in Kunst. Seiner Ansicht nach ist es ein Topos, „dass Kunst viereckig ist, einen Rahmen hat und eine ölfarbene Oberfläche. Das ist ein Standard, eine Konvention und das bedient dieser Laden sehr gut“. „Coconova“ bedient das Bedürfnis nach einem Original, nach etwas Klassischem, aber mit modernem Inhalt. Und schließlich das Bedürfnis, so wenig wie möglich auszugeben.

In der Bewertung der „Coconova-Kunst“ sind sich die Fachleute einig. Für Kunstprofessor Zimmermann sind die Bilder weder provokant noch packend. Sie sind sehr stromlinienförmig und ecken nirgends an. Sein Fazit: „Ich kann auch viel Spaß an einer Fototapete haben. Aber mit Kunst hat das nichts zu tun.“

Der Soziologe Heine von Alemann, Redakteur der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, unterscheidet auf ähnliche Weise zwischen Gebrauchskunst und „echter“, moderner Kunst, bei der „der Künstler selber das Individuum ist und das macht, was er für wichtig hält, unabhängig davon, ob es jemandem gefällt“.

Wandlung der Ehrenstraße

Jedoch erkennt der Kunstsoziologe in den „Coconova“-Bildern eine Parallele zur Auftragsmalerei, wie sie sich seit der Renaissance durchgesetzt hat. Der Unterschied ist nur, dass früher das Großbürgertum die Aufträge erteilt hat. „Jetzt ist der Punkt da, an dem auch das Kleinbürgertum sich das leisten kann. Und was entsteht, ist vielleicht auch nur kleinbürgerliche Kunst.“

Den glücklichen Käufer, potenziellen Auftraggeber oder einfach nur um einige visuelle Reize reicheren Kleinbürger entlässt „Coconova“ schließlich wieder auf die übervolle Ehrenstraße – die ehemalige Insidermeile. Sie war einmal Protest gegen bestehende Strukturen; zuerst Rotlichtmilieu, dann Kreativpool für die alternative Szene inklusive einiger Cafés und diverser Klamottenläden für den modebewussten Punk und Gruftie. Nun hat sie sich zum Massengeschmack, zum ausgetretenen Trampelpfad gemausert, auf dem vornehmlich jüngere Leute versuchen, die Ausstattung für ihre Individualität zu ergattern.

Gerade in dieser Straße finden wir jenen Laden, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, „Kunst für jedermann erschwinglich zu machen“. Die Begriffsdefinition des Geschäftsmannes Stracke ist eindeutig: „Kunst soll gut gemacht und schön sein.“ Damit stimmt seine Ansicht mit der vieler Besucher der Ehrenstraße überein. Man trifft sich in Bildern, die das zeigen, was die Menschen kennen und mögen. Man trifft sich in Bildern, die das Leben ein wenig hübscher zeigen, als es ist. Das ist weder Protest noch Widerspruch gegen Bestehendes. Das ist Berufung auf klassische Formen und damit verbundene Wertigkeit. Das ist die Glorifizierung der jetzigen Zeit mit alten Mitteln. Das ist der Wille, sich im eigenen Leben wohl zu fühlen, komme was wolle.

Und schließlich gehe es bei „Coconova“ um das Wohlfühlen, was, wie Stracke erklärt, „die neue Art des sich zu Hause gemütlich Machens“ bedeutet. Dabei beziehen sich die Geschäftsleute auf den in den 80er Jahren aufgekommenen Begriff „Cocooning“ – laut Duden „das Zu Hause bleiben während der Freizeit“. Der Name Coco Chanell ist der zweite Pate, der die Assoziationen „Mode, Schönheit und Bequemlichkeit“ auslösen soll.

Bestellung via Internet

So passt „Coconova“ in die Ehrenstraße. Hier gibt es keine alternativen Insiderklamotten oder seltene Vinylplatten mehr – dafür schöne Kleider für eine größtmögliche Menge an Käufern. Ebenso wenig bekommt man hier extravagante und tiefsinnige Kunst, sondern ästhetische Reproduktionen der Welt oder persönlicher Wunschvorstellungen – zur Verschönerung möglichst vieler Wohnzimmer.

Und wer das „Cocooning“ in seiner eigentlichen Bedeutung (einen Kokon spinnen) zur Vollendung bringen möchte, kann vom heimischen Computer aus „Coconova“, „De Kunstfabriek“ und all die Grafikbüros und Maler, die im Auftrag Ölgemälde anfertigen, via Internet besuchen und sich ein Abbild seiner Welt bestellen – ohne das traute Heim zu verlassen.