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Archiv-Artikel

„Dieses Ossi-Image ist falsch“

Der Moderator Dieter Moor zog vor Jahren aufs Land. Jetzt hat er zwei Jobs: Bauer und Kultur. Und eine neue Liebe: Brandenburg!

DAS IST DIETER MOOR

Der Journalist: Dieter Moor, 51, ist ausgebildeter Schauspieler und seit November 2007 Moderator des ARD-Kulturmagazins „titel thesen temperamente“. Für den RBB ist er mit der Sendung „Bauer sucht Kultur“ in Brandenburg unterwegs. Er begann seine Karriere beim ORF als Radio- und Fernsehmoderator, bevor er mit dem Medienmagazin „Canale Grande“ in den 1990er-Jahren auch in Deutschland bekannt wurde. 2004 kommentierte er für die ARD die Fußball-EM mit seiner Glosse „Das Wunder von Moor“.

Der Bauer: Der in Zürich 1958 geborene Moor verbrachte seine Kindheit auf dem Lande. Seit 2003 ist der Fernsehmoderator nun auch als Landwirt im brandenburgischen Hirschfelde tätig. Das schmucke Dorf liegt bei Werneuchen, 45 Kilometer von Berlin entfernt. Den Bauernhof betreibt er zusammen mit seiner aus Österreich stammenden Frau Sonja. Ihre drei stürmischen Hofhunde heißen Max, Carla und Heidi, die vier Katzen Lea, Lara, Orlando und Lucy. Das Dorf mit seinen dreihundert Einwohnern war einmal ein Rittersitz und hat einen schön angelegten Skulpturenpark, der heute unter Denkmalschutz steht.

Das sagt Moor: „Als wir hierherkamen, war ich in Deutschland sechs Jahre weg vom Markt. Mich kannte hier niemand. Da war kein Promibonus. Man geht hier miteinander um wie mit Partnern. Das zeigt sich auch bei so schönen Traditionen wie in Hirschfelde auf dem Sommerfest.“ Und: „Ihr Berliner, ihr versteht gar nix!“ FAN

Interview Andreas Fanizadeh taz: Herr Moor, zwanzig Jahre nach dem Mauerfall, was plant man zu solch Jubiläen als Fernsehmoderator?

Dieter Moor: Die harte Wahrheit ist: Redaktionsleiter werden sagen: „Wir müssen was machen zu Zwanzigjahredeutscheeinheit.“ Und dann wird ein Autor einen Beitrag produzieren, und ich werde für die Anmoderation einen Text sprechen.

Klingt nach lästiger Pflicht?

Jubiläen sind niemals Kür.

Ihre Sendung „Titel Thesen Temperamente“ gilt als hochkulturelles Magazin im Populärmedium Fernsehen. Macht eine Abgrenzung von Hoch- und Populärkultur heute überhaupt noch Sinn?

Überhaupt nicht.

Warum nicht?

Ich war immer näher an der Volks- als an der Hochkultur. Es gibt gute Gründe, über einen Gropiusbau einen schönen Bericht zu machen. Aber die Realität, in der wir leben, sind ja nicht Gropius-Bauten, sondern Parkhäuser, Betonsiedlungen und zersiedelte Landschaften durch Einfamilienhäuser. Es gibt einerseits die Oper und andererseits Britney Spears. Wenn man sich im Spannungsfeld zwischen beidem bewegt, wird es interessant.

Als Fernsehmoderator arbeiten Sie im großstädtischen Umfeld, als Biobauer leben Sie mit Ihrer Frau auf dem ostdeutschen Land. Wo ist die Schnittmenge dieser doch sehr unterschiedlichen Bereiche – oder macht Ihre Frau den Hof und Sie geben die Interviews?

Sonja könnte zum Bauernhof natürlich auch Interviews geben, wenn sie heute hier wäre. Aber in der Tat: Sie ist die Bäuerin, und ich bin Knecht und Berater. Das haben wir so beschlossen. Es muss jemand die volle Verantwortung für den Hof tragen, wenn der funktionieren und einmal selbsttragend sein soll. Der braucht ein 24-Stunden-Engagement.

Wie sieht der Arbeitsablauf des Knechts aus, so er hier ist?

So wie heute: Um sechs Uhr am Morgen aufstehen, ein Käffchen nehmen, dann den Schafstall ausmisten. Zu dieser Jahreszeit heißt es in erster Linie den Tiermist wegbringen. Wir haben siebzig Schafe und dann noch Galloway-Rinder und Wasserbüffel, Pferde und Esel.

Wasserbüffel?

In Brandenburg ist das relativ neu, aber in Europa gibt’s ihn schon seit vierhundert Jahren.

Was macht man da, Büffelmozarella aus der Milch?

Nee, das machen wir nicht auch noch. Die werden gegessen.

Also Fleischproduktion. Schlachten Sie selber?

Dürfen wir leider nicht. Im Prinzip würden wir es gern tun. Wir wollen beweisen, dass man Fleisch umweltverträglich machen kann. Auch diese ganzen Zahlen widerlegen: man brauche so und so viele Kilo Getreide für hundert Gramm Fleisch.

Anders machen bedeutet hier konkret?

Die Tiere sehr naturnah zu halten. Sie bekommen kein Getreide, kein Menschenfutter. Sie stehen auf der Wiese und erhalten im Winter das Heu, das von dieser Wiese stammt.

Wie groß ist der Hof?

Wir haben zirka siebzig Hektar. Gepachtet und zum Teil eigenes Land. Für Brandenburg ist das nicht viel, für Bayern wäre es ein großer Hof.

Die Tiere kommen in die Schlachterei?

Nein, wir haben einen Schlachter fünfzehn Kilometer von hier entfernt, ein kleiner Betrieb nach alter Manier. Das ist so stressfrei für die Tiere wie möglich.

Und wie erfolgt der Vertrieb des Fleisches, der Produkte?

Wir haben sehr kleine Mengen. Das Fleisch ist verkauft, bevor das Tier geschlachtet ist. An Nachbarn, Bekannte. Wir behandeln die Tiere so gut wie möglich.

Wie viele Knechte gibt es außer Ihnen auf dem Hof?

Es gibt einen jungen Mann, Fabian, der zurzeit krank ist, weswegen ich ziemlich im Stress bin. Und dann haben wir seit Februar einen Angestellten und damit den ersten richtigen Arbeitsplatz geschaffen.

Der Hof prosperiert also?

Wenn alles gut geht, wird er sich in fünf Jahren tragen. Vorher ist er ein Fass ohne Boden, in das du investierst und investierst. In der Landwirtschaft kannst du nicht wirklich reich werden.

Klingt eher nach Stress als nach Stressabbau?

Sonja und ich sind beide nicht mehr die Jüngsten. Es ist ein Schicksalsexperiment. Wenn es gut geht, haben wir eine geniale Riesterrente für uns geschaffen. Und wirkliche Werte, Arbeitsplätze, gesünderes Leben und eine andere Kultur. Wenn es schiefgeht, dann werden wir knapp sechzig sein und vor dem Nichts stehen. Es ist ein Risiko. Es gibt Phasen, da macht es total glücklich, und es gibt welche, wo du denkst, bin ich eigentlich wahnsinnig. Vor ein paar Jahren hab ich noch gedacht, warum kaufen wir nicht Aktien. Jetzt bin ich natürlich froh, dass wir das nicht gemacht haben.

Ist das hier der einzige landwirtschaftliche Betrieb im Dorf?

Nebenan gibt’s noch einen konventionell arbeitenden Betrieb, früher gab’s hier dreißig Bauern. Konventionell zu arbeiten, ist hart. Letztes Jahr waren zum Beispiel die Getreidepreise ganz oben, jetzt sind sie wieder unten. Wenn du konventionell arbeitest, bist du alles, aber kein freier Bauer. Du bist abhängig von Faktoren, auf die du keinen Einfluss hast, und umzustellen auf die Biolandwirtschaft ohne staatliche Förderung, ist hart.

An den Provinzen der früheren DDR hängt hartnäckig das Image: arbeitslos, kulturlos, ausländerfeindlich. Bedingt richtig oder komplett falsch?

Komplett, aber komplett falsch! Für sehr viele Leute geht Brandenburg allerhöchstens, wenn man hier sehr günstig in einem renovierten Schloss ein Wochenende verbringen kann. Oder allenfalls noch Potsdam. Aber der Nordosten geht gar nicht. Depression, Arbeitslosigkeit, daraus resultierender Rechtsextremismus.

Also hier bei Ihnen in Hirschfelde bei Werneuchen nichts dergleichen. Heile Welt?

In Hirschfelde: So heile Welt, wie ich’s halt kenne vom Lande, aus Österreich, der Schweiz oder Süddeutschland. Wir sind seit fünf Jahren hier und sehen, wie die Leute kämpfen. Wir haben einen fantastischen Bürgermeister in Werneuchen, der gehört zur Linken. Was mein Verhältnis zur Linken extrem relativiert hat. In den oberen Riegen mag da immer noch viel SED-Kader und auch eine Frau Wagenknecht dabei sein. Aber der Typ in Werneuchen ist einfach so, wie du dir einen Bürgermeister wünschen kannst. Du kommst da hin und bist Partner. Und zwar von Anfang an.

Nun sind Sie ja nicht als Knecht, sondern als ein prominenter Zuzügler aus dem Westen hier angekommen, als ein Schweizer und nicht als ein früherer Vertragsarbeiter aus Vietnam.

Als wir hierher kamen, war ich in Deutschland sechs Jahre weg vom Markt. Mich kannte hier niemand. Da war kein Promibonus. Man geht hier miteinander um wie mit Partnern. Das zeigt sich auch bei so schönen Traditionen wie in Hirschfelde auf dem Sommerfest.

wir haben das Schild im Schnee gesehen.

Zuletzt sind da aus Strausberg oder irgendwoher immer auch ein paar Glatzen aufgeschlagen. Wir haben hier aber unsere „Bösen Onkels“, wie ich sie liebevoll nenne. Handwerker von hier. Die stellen sich dann einfach vor denen auf, und weg sind die. Heile Welt? Die Welt ist hier mindestens so heil oder unheil wie woanders auch.

Und sonst?

Es ist natürlich ein Dorf, aber nicht anders als andere Dörfer auch. Ich bin auf dem Dorf aufgewachsen. Dieses Ossi-Image ist einfach falsch. Ich bin auch sehr froh, dass ich beim RBB die Sendung „Bauer sucht Kultur“ machen darf. Brandenburg ist echt unterschätztes Gebiet. Gerade ihr Berliner glaubt doch immer: Sobald man die Stadt verlässt, ist man in Feindesgebiet, in Dunkeldeutschland.

Stimmt, hin und wieder soll es sogar Nazis geben?

Echt. Ich erleb’s nicht. Es tut mir leid. Vielleicht ist Hirschfelde eine Ausnahme. Auch wenn ich für den RBB rumfahre. Natürlich gibt’s an den Tankstellen diese typischen Jugendgangs, die ganz stolz sind auf ihre getunten Autos. Ob die nun alle rechtsextrem sind? Das gibt’s in Bayern auch.

In Bayern wählen die aber nicht wie in einigen ostdeutschen Regionen offensiv die NPD?

Das ist in Brandenburg wo?

Das ist etwas weiter nördlich, in Mecklenburg-Vorpommern.

Eben, das ist die nächste Ungerechtigkeit, wenn alles in einen Topf kommt.

Die Frage „Bist du Ossi oder Wessi?“ war kurz nach der Wende immer Thema. Und der Ossi guckte verschämt, weil er die falsche Jeans anhatte

Also gut: Brandenburg ist anders?

Finde ich schon. Brandenburg war immer der Knecht Berlins, gerade gut genug, das Futter zu beschaffen, damit die Berliner gut leben können. Mehr war da nie. Es gibt Städte, die seit dem Zweiten Weltkrieg vermaledeites Gebiet waren und die seither kaum eine Chance besaßen.

Gut, als Brandenburger sieht man ein paar Dinge anders. Und als Schweizer: Was sagen Sie, was sind für Sie zwanzig Jahre nach der Einheit die auffälligen Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschen? Oder hat sich das abgeschliffen?

Ich glaube, im Alltag hat sich das tatsächlich abgeschliffen. Das merkt man auch in Berlin. Kurz nach der Wende war ich ungern in Berlin. Die Stadt war unglaublich aggressiv. Die Frage „Bist du Ossi oder Wessi?“ war immer das Thema. Und der Ossi guckte verschämt, weil er die falsche Jeans anhatte. Heute sind die Leute, die 1989 geboren wurden, Erwachsene. Das Ossi-Wessi-Ding hat sich abgeschliffen, auch wenn es immer noch die wirtschaftlich enorme Benachteiligung Brandenburgs zum Beispiel gegenüber Berlin gibt.

Kann man das wirklich so sagen?

Das muss man so sagen. Die Infrastruktur wurde in Klump gehauen, und nichts Adäquates wurde an die Stelle gesetzt. Es werden immer noch Bahnlinien stillgelegt, der öffentliche Verkehr ist unter aller Sau. Nimm Hirschfelde. Ich will ja nicht von der DDR-Subventionswirtschaft schwärmen, aber wo willst du hier Arbeit finden?

Der Ausgangspunkt DDR war allerdings auch nicht gerade eine blühende Landschaft, egal, was ideologische Nostalgiker da gern erzählen.

Aber das Image ist doch immer noch so: Die armen Westdeutschen pumpen Milliarden herein, und die Ossis versaufen es.

Komplett falsch?

Ja. Aber es ist offensichtlich nicht wegzukriegen. Brauchen wir in Hirschfelde all die Straßenlaternen, die jetzt die ganze Nacht brennen?

Na ja, die neuen Gehwege gab es vorher wahrscheinlich auch nicht?

Die hat die Europäische Union finanziert. Aber das große Geld wurde doch in irgendwelchen Großprojekten verlocht, neues Silicon Valley hier, Rennstrecke da. Und nicht, um den ganz normalen Leute eine Chance zu eröffnen. Es gab kein Vertrauen zu den Menschen aus der DDR und deswegen auch keine kleinteilige, basisnahe Förderung.

Wie hätte die denn in Orten wie Hirschfelde oder Werneuchen aussehen sollen?

Vielleicht mit hiesigen Handwerkern kleine Brötchen backen. Statt die Dorfstraße dreimal aufzureißen – einmal für die Straßenlampen, ein zweites Mal für das Glasfaserkabel, das jetzt unbenutzt in der Erde liegt, und ein drittes Mal für die segensreiche und dringend notwendig gewesene Kanalisation –, nur einmal aufzureißen. Und die Aufträge an regionale kleine Betriebe, statt an den großen Westbaulöwen. Kirche renovieren, Dorfschule reaktivieren, den Park wiederbeleben, den Dorfladen unterstützen, einen Jugendclub einrichten. All das wäre billiger und nachhaltiger gewesen als diese „Nun zeigen die Wessis den Ossis, wie Wirtschaft geht“-Arroganz. In tausend Kleinbetrieben je einen Arbeitsplatz erhalten, sind auch tausend Arbeitsplätze.

Und das heißt für die Zukunft?

Infrastruktur schaffen, kleinteilige, sanfte Entwicklung in Landwirtschaft, Tourismus und Kleingewerbe. Den Menschen mit Initiative und Unternehmergeist eine Chance geben.

Andreas Fanizadeh, 46, leitet das Kulturressort der taz. Bis zu seiner Einschulung lebte er neben einem Bauernhof und einer Schlachterei in einem österreichischen Alpendorf