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Archiv-Artikel

Beleidigen ist legal

Wer Richter anpöbelt, nutzt sein Recht auf freie Meinungsäußerung, entschied jetzt das OLG Hamm

Hamm taz ■ Wer im Kampf um sein Recht erfolglos bleibt, vergreift sich schon mal in der Wortwahl. Doch nicht jede ungebührliche und inakzeptable Äußerung ist gleichzeitig eine persönliche Beleidigung des zuständigen Richters, die strafrechtlich verfolgt werden muss. Dies hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts (OLG) in Hamm in einem Revisionsprozess entschieden und die erbosten Verbalattacken eines Verfahrensbeteiligten in einem Sozialrechtsstreit gegen einen Richter (“Sie lügen, Sie führen einen reinen Schauprozess gegen mich“) nicht als Formalbeleidigung und Angriff auf die Menschenwürde des Juristen gewertet.

In letzter Instanz wurde jetzt ein 35-jähriger Mann aus Ostwestfalen vom Vorwurf der Beleidigung freigesprochen und eine Verurteilung zu einer Geldstrafe in Höhe von 900 Euro (60 Tagessätze à 15 Euro) aufgehoben. In einem Ablehnungsgesuch gegen den Richter hatte sich der Mann zu diesen Äußerungen hinreißen lassen. Amtsgericht und Landgericht Detmold hatten in den Formulierungen den Tatbestand der Beleidigung und üblen Nachrede als erfüllt angesehen. Ein Strafantrag des Präsidenten des Sozialgerichts Detmold hatte zur Anklage der Staatsanwaltschaft geführt und drei Gerichtsinstanzen beschäftigt.

Nach Ansicht des OLG liegt in den Vorwürfen zwar eine Kränkung des Richters vor, doch seien die emotionalen Äußerungen des 35-Jährigen als Werturteil über die Prozessführung einzuordnen, die durch das Grundrecht auf Meinungsfreiheit noch geschützt seien. Zu berücksichtigen sei auch, dass der Mann als juristischer Laie seinem Unmut wegen der nach seinem Empfinden unverständlichen gerichtlichen Vorgänge Luft verschaffen wollte, heißt es.

Die Richter des 4. Strafsenats legen im übrigen ihren Berufskollegen mehr Gelassenheit und Souveränität bei verbalen Angriffen gegen die Justiz nahe. Ihr Hinweis: „Es gibt unterhalb der Schwelle der strafrechtlichen Verfolgung zahlreiche Möglichkeiten, auf derartige Anwürfe zu reagieren, in der Regel reicht schon ein schlichtes Ignorieren aus. Weiter ist zu bedenken, dass die Einleitung von Strafverfahren in solchen Fällen zu einer erheblichen Belastung der Strafjustiz mit Bagatelldelikten führen würde.“ KLAUS BRANDT