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Archiv-Artikel

Ruhrpott-Volk gegen „Gesindel“

Montagsdemos gegen Hartz IV auch im Ruhrgebiet. In Dortmund protestiert ein buntes Bündnis aus Gewerkschaften, Wahlalternative und Kommunisten mit den Arbeitslosen. Regierung ist „Gesindel“

AUS DORTMUNDKLAUS JANSEN

„Hartz IV bringt moderne Sklaverei“, brüllt Martin Pausch in das Mikrofon. Der kleine Mann aus Werl ist heiser. Martin Pausch ist arbeitslos, er hat die erste Dortmunder Montagsdemonstration gegen die Hartz-Reformen angemeldet. Martin Pausch gehört keiner Partei oder Organisation an, das ist ihm wichtig. „Alle Macht geht vom Volk aus, das Volk muss was tun“, sagt er.

Das Volk, man sieht es an Plakaten und Flyern, ist an diesem Montagabend vor der Dortmunder Reinoldikirche eine bunte Mischung: Dicke Gewerkschafter der IG Bergbau,- Chemie und Energie stehen neben jungen Attac-Aktivisten, Rentnern und Vertretern der neuen „Wahlalternative“. Rund 200 Menschen sind es in Dortmund, genauso viele in Gelsenkirchen, dazu knapp 100 in Essen – in Ostdeutschland waren es 40.000. „Das Volk sind wir! Weg mit Hartz IV!“, steht auf den Plakaten der Demonstranten – den klassischen Slogan der DDR-Bürgerrechtsbewegung findet man zunächst nirgends.

Das Volk, in Dortmund sind das Leute wie Ernst Wierzoch, 50, Brille, labbrige Jogginghose. Früher war er Betriebsschlosser, dann lange arbeitslos, jetzt ist er Aushilfe an einer Tankstelle. Er ist gekommen, weil es ihm nicht passt, dass „Autokanzler“ Schröder der SPD seinen Willen aufzwinge. „Staatsraisonistisch“ nennt Wierzoch das, er hat einmal Sozialwissenschaften und Philosophie studiert. Von einer CDU-Regierung erwarte er aber noch schlimmere Sozialkürzungen, sagt er. „Aber dann mobilisieren die Gewerkschaften.“

Dass die Gewerkschaften an die Spitze der Anti-Hartz-Bewegung gehören, fordert dann auch ein Hoesch-Betriebsrat. Mittlerweile ist das Mikrofon offen für alle, also nutzt er die Gelegenheit, um mit den Berliner Gewerkschaftsführern abzurechnen. „Die Sitzen auf Schröders Rockschößen und hoffen, dass er einzelne Paragraphen ändert, anstatt dafür zu kämpfen, das Hartz wegkommt.“

Den Vorwurf von Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) und von DDR-Bürgerrechtlern, man dürfe den historischen Namen „Montagsdemo“ nicht für die Anti-Hartz-Proteste missbrauchen, lassen die Demonstranten nicht gelten. Rüdiger Heescher, ein Pferdeschwanzträger in Sandalen von der Attac-AG „Genug für Alle“, will historische Parallelen ausgemacht haben: „Hartz IV beschneidet freiheitliche Rechte, und dazu gehören auch soziale. Auch die DDR hat freiheitliche Rechte beschnitten“, sagt er. Was die verschiedenen Demonstranten eine? „Die Wut“, sagt Heescher.

Die Wut ist zu spüren. „Die SPD, das ist Gesindel!“, ruft ein Demonstrant in die Runde. „Die Grünen auch!“, schallt es zurück. „Und die PDS auch!“ Die Antwort ist dreimal gleich: „Jawoll!“

So viel aggressive Systemkritik zieht auch unerwünschte Gäste an: Vermummt und versteckt hinter schwarzen Sonnenbrillen nutzt auch eine 15-köpfige Gruppe der rechtsradikalen „Autonomen Nationalisten“ das Forum der Demo – gleiches hatten Neonazis auch schon in Ostdeutschland versucht. Der braune Auftritt in Dortmund endet jedoch abrupt: Der Veranstalter Pausch nutzt sein Hausrecht, die Polizei erteilt Platzverweise.

Die Demonstranten feiern den Erfolg: „Das machen wir mit Hartz IV auch,“ ruft jemand. Und in der so angeheizten Atmosphäre kommt er dann doch noch, der Ruf der Montagsdemonstranten: „Wir sind das Volk!“