: Plastik des Grauens
Kaufreflexe als Gedankenspiele: Das Designerduo „Human Beans“ entwirft Dinge, die ebenso nützlich wie grotesk sind. Jetzt zeigen sie diese in der Galerie Neurotitan
VON TIM ACKERMANN
Warum bloß ist vorher noch niemand darauf gekommen? Einen Pizzakarton zur Laptop-Tasche umzufunktionieren. Die Käsereste rauskratzen, Polstermaterial einlegen, fertig! „Powerpizza“ heißt das besondere Stück Pappe, dessen Clou sein harmloses Aussehen ist: Der Laptop kann auch im Karton benutzt werden, der Besitzer ist so vor Überfällen sicher. Kriminelle werden durch die Aufschrift „Enjoy your Pizza“ ausgetrickst: „Man wird glauben, dass Sie Pizza essen, während Sie in Wahrheit die letzten Vorbereitungen für das Meeting treffen“, verspricht das Designerduo „Human Beans“ auf seiner Homepage.
Kleine Dinge, die die Welt zu einem schöneren Ort machen – das ist die Spezialität von Mickaël Charbonnel und Chris Vanstone. Der Franzose und der Waliser lernten sich beim Designstudium auf dem renommierten Central Saint Martins College in London kennen, arbeiteten dann eine Weile für Kodak und merkten recht schnell, dass es eine Menge Dinge gibt, die die Menschheit unbedingt noch braucht: ein Mobiltelefon namens „Zapparola“ etwa, mit dem man auch zur Selbstverteidigung Elektroschocks austeilen kann. Oder „Mr Germy“, ein Kauring für Babys, der mit Bakterien imprägniert wurde, um das Immunsystem der „lieben Kleinen“ zu stärken.
Eine Auswahl der „Human Beans“-Produkte ist jetzt in der Galerie Neurotitan zu sehen. „Powerpizza“ ist allerdings der einzige Entwurf, den das Designerduo realisiert hat und den sie mittlerweile recht erfolgreich über ihre Homepage vertreiben. Bei den restlichen Projekten handelt es sich primär um Gedankenspiele.
„Spam: an exhibition of fictional products“ heißt die Ausstellung der „Human Beans“ und genauso funktioniert sie auch: Der Besucher wird mit visuellen Impulsen (Werbefilmchen, Plakate) „zugespamt“, die seinen Kaufreflex stimulieren sollen. Nur dass die Objekte der Begierde nicht existieren und so das Bedürfnis des Konsumenten ins Leere greift.
Ein Paradox: Die Enttäuschung, die fiktionalen Produkte nicht kaufen zu können, paart sich mit Erleichterung darüber, dass es sie (noch) nicht gibt. Denn bei vielen „Human Beans“-Entwürfen ist ein simples Produkt mit gut gemeinten Zusatzfunktionen ausgestattet worden, deren praktischer Sinn dermaßen ins Extrem getrieben wurde, dass sie zwar unglaublich hilfreich sind, aber gleichzeitig auch grotesk und bedrohlich scheinen – oder geeignet, den Verbraucher in den Wahnsinn zu stürzen. Wer, bitte schön, möchte wirklich ein Spray, das Bakterien sichtbar macht und so den eigenen Hygienewahn ins Endlose ausufern lässt?
Die „Spam“-Schau führt also dem Betrachter die möglichen Abgründe des eigenen Konsumverhaltens vor. Die gezeigten Produkte verkörpern sowohl kollektive Ängste und Obsessionen der Konsumenten als auch die verbreitete Hoffnung, durch gezieltes Shopping wieder Herr der eigenen Gefühle zu werden. „Human Beans“ haben sich auf drei Bereiche konzentriert, in denen Menschen gerne mal zu zwanghaftem Verhalten neigen: Sicherheit, Sauberkeit und Wellness.
Das Schöne an „Spam“ ist, dass man die unterschwellige Konsumkritik ahnen kann, ohne dass am schimmernden Lack dieser schönen neuen Warenwelten gekratzt werden muss. Im Gegenteil: Charbonnel und Vanstone operieren stets innerhalb des Design- und Werbediskurses. Das beginnt bei der Dekoration der Ausstellungsräume, die eher an eine Industriemesse als eine Kunstschau erinnert, und endet bei den selbst produzierten Videofilmchen, die das subtile Vokabular gängiger Werbespots kopieren. „Uns ist bewusst, dass wir Bedürfnisse auch erzeugen können“, sagt Charbonnel. Auch „Powerpizza“ sei zuerst als reines Konzept in Spam-Mails beworben worden. Als immer mehr Leute „Powerpizza“ bestellten, hätten sich die Designer zur Produktion entschlossen.
„Human Beans“ können sich schon vorstellen, dass noch mehr ihrer fiktionalen Produkte Realität werden. Dass einige Ideen gar nicht so unwahrscheinlich sind, ist klar. Schließlich, sagt Charbonnel, gebe es in den USA schon einen Elektroschocker, der die Form eines Handys hat. Bloß telefonieren kann man noch nicht mit ihm.
„Spam“: bis 1. 9. in der Galerie Neurotitan, Rosenthaler Str. 39, Mo., Mi.–Sa. 14–22 Uhr, So. 14–20 Uhr. „Spam“ im Internet: www.humanbeans.net