Schläft ein Song in jeder Zeile

News zum Mitsingen: Die Vocal-Artisten entdecken in den Evergreens der letzten 100 Jahre die vorweggenommene Vertonung der Zeitung von heute. Das passt zusammen wie Datteln und Speckröllchen

Angenehm verrücken Kampfhunde Cruela de Vils festgezurrtes Negativ-Image

Ein gelungenes Chanson ist wie guter Text in der Zeitung. Denn der unterliegt dem kommunikativen Gesetz, dass die Sprache in dem Maße floskelhafter sein muss, in dem die Nachricht befremdet: Folgerichtig wird in Headlines gerne auf Textzeilen aus Schlagern, Hits oder Volksliedern zurück gegriffen, um das Beschriebene auf den Punkt zu bringen. Die Zeitung infiziert das Neue mit dem Vertrauten. Dadurch wird es verständlich. Man kann es konsumieren, ohne dass es den Appetit aufs Frühstücksbrötchen verschlägt. Und fast schon mitsingen.

Unterhaltungsmusik wiederum muss entweder ein Evergreen sein, oder so klingen, als wäre sie längst einer, selbst wenn niemand den Song bis dato gehört hätte. Dann wird sie sich auch durchsetzen. Einen gemeinsamen Nenner zu suchen, drängt sich folglich geradezu auf. Die Bremer Vocal-Artisten haben ihn gefunden. Unter dem Titel Newsdinner präsentierten sie am Freitag in der Vinothek „Domizil“ erstmals das daraus entstandene Programm-Konzept: Einen durch die vier Gänge eines Menüs gegliederten Liederabend, der an aktuelle Schlagzeilen anknüpft.

Witzig, kreativ und vielleicht sogar subversiv wird das dort, wo die Beziehung zwischen Schlager und Schlagzeile verblüffend und innig zugleich ist: „Kein Kampf dem Kampfhund“ liest Ulrich Möllmann eine Überschrift der tazbremen vom 3. September vor. Die Geschichte: Ein Verwaltungskuriosum rund um eine Killer-Töle, gegen die das Ordnungsamt mangels korrekter Halter-Daten nichts unternehmen kann. Im vielfältigen Repertoire des Ensembles findet sich jedoch ein passender Rat – man muss das Liedgut nur entsprechend interpretieren: Möllmann, stimmlich und mimisch maximal smart, beschwört mit dem Song „Cruella de Vil“ die schauerliche Hexe aus „101 Dalmatiner“ als potenzielle Retterin aus der Not. Wodurch deren so festgezurrtes Negativ-Image angenehm in Rückung gerät – ganz wie das süßliche der Dattel durch die sie umgebende Speckrolle und das Salatbett, auf dem sie als Vorspeise gereicht wird.

Sehr gut funktioniert auch die Deutung der Yellow-Press-Berichte über heimliche Nachtausflüge einer skandinavischen Prinzessin durch Claudia Geerken: Sie tigert in wüster Getriebenheit als „Die Kleptomanin“ durch den Raum, interpretiert den Chanson energiegeladen und mitreißend. Da fällt dann weniger ins Gewicht, dass offenbar die Suchrichtung für die Programmgestaltung nicht von der Schlagzeile zum Repertoire, sondern umgekehrt verläuft.

In anderen Fällen allerdings sind die holprigen Übergänge schwerlich zu cachieren: Einerseits müssten die Zeitungsberichte etwas eleganter vorgetragen werden. Andererseits: Die Verbindung zwischen Liedgut und Artikel ist oft zu dünn. So erweist sich das Wetter als echte Falle des Konzepts. Klar, wird immer darüber berichtet, bringt jedes stockende Gespräch in Gang und fügt sich irgendwie überall ein. Gerade deshalb aber funktioniert es als Aufhänger nicht. Die Überraschung entfällt. Und was nicht überrascht, kann nicht witzig sein – ein großer Nachteil für geschmacklich riskante Kombinationen: ‚Stormy Weather‘ passt zu jedem stärkeren Wind, natürlich auch zu einem Taifun – das ist dann aber ein zu dünner Vorwand, um die Opfer humoristisch abzufedern. Beim nächsten Mal – eine Neuauflage ist für den 5. November geplant – einfach weglassen? Das wäre in Anbetracht des Repertoires natürlich schade. Ist aber auch nicht notwendig: Es müsste nur an eine dramaturgisch einleuchtende Stelle gerückt werden. Hinters Dessert zum Beispiel. bes