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Archiv-Artikel

Neo-Christine grüßt verletzte Schwestern

Justine Henin-Hardenne besiegt im Finale der US Open Kim Clijsters, obwohl sie am Abend zuvor noch am Tropf hing

NEW YORK taz ■ Am Schluss ging es nicht mehr um das nette, kleine Belgien oder um die verletzt fehlenden Williams-Schwestern, sondern ganz allein um den Willen und die Hingabe einer besonderen jungen Frau. Keine 20 Stunden, nachdem sie Jennifer Capriati in einem atemberaubenden Spiel über drei Stunden besiegt hatte, kehrte Justine Henin-Hardenne ins Arthur-Ashe-Stadion zurück, ging mit der gleichen Hingabe und dem gleichen Willen ins Finale gegen Kim Clijsters, gewann 7:5, 6:1 und damit ihren zweiten Grand-Slam-Titel.

Dieses Finale in New York war spannender und besser als jene Begegnung der beiden vor drei Monaten bei den French Open, aber es hielt keinen Vergleich stand mit jenem Feuerwerk am Abend zuvor. Im besten Spiel des Jahres servierte Capriati zweimal zum Match, zehnmal fehlten ihr nur noch zwei Pünktchen zum Sieg, doch Henin kämpfte, von Krämpfen geplagt, in des Wortes Sinne bis zum Umfallen. Als es vorbei war, stand der Zeiger der Uhr auf halb eins, danach hing Henin am Tropf, und bis sie später in ihrem Hotelbett in einen unruhigen, wirren Schlaf fand, war es kurz vor vier. Doch um die Mittagszeit schlug sie schon wieder die ersten Bälle, um zu testen, was dem strapazierten Körper zuzumuten sei.

Henin selbst ist immer noch überrascht, um wie viel stärker und ausdauernder sie jetzt ist als vor einem Jahr. Das knochenharte Fitnesstraining vor Saisonbeginn macht jenen Unterschied aus, den Clijsters so beschreibt: „Sie ist immer noch klein, aber sie ist kein zierliches Mädchen mehr.“ Mit den Muskeln, so Henin, sei in den langen Wochen in Saddlebrook an der Westküste Floridas auch das Verständnis für die amerikanische Mentalität gewachsen. Das habe ihr in New York geholfen.

Hier wie in Paris hat sie den größten Teil der Arbeit mit einem Sieg im Halbfinale erledigt, bei den French Open in einem viel diskutierten Spiel gegen Serena Williams. Seit diesem Triumph hat sie nur ein einziges Spiel verloren, das Halbfinale in Wimbledon gegen Venus Williams, danach gewann sie den Titel beim Turnier in San Diego und gleich noch einen hinterher in Toronto. In New York spielte sie so ungeheuer eindrucksvoll und stark, dass sie es sich leisten konnte, zu sagen: „Ich habe keine Angst mehr vor den harten Schlägen der anderen, weil ich nun selbst so spielen kann. Und ich denke, das wissen jetzt auch alle.“ Ein kleiner Gruß an die verletzten Schwestern.

Im vergangenen Jahr gewann Serena Williams drei Grand-Slam-Titel, Justine Henin hat nun zwei, und für viele ist sie damit die beste Spielerin anno 2003. In der Weltrangliste überholt sie Serena Williams und rückt vor auf Position zwei, aber an Clijsters kommt sie noch nicht heran, denn die hat in diesem Jahr mächtig Punkte gesammelt mit sechs Titeln.

Clijsters war auch diesmal wieder die netteste Verliererin, die man sich denken kann. Nicht nett zu sein liegt ihr nicht. Beim Unternehmen, das kleine Belgien in den USA ein wenig populärer zu machen, haben die beiden ganze Arbeit geleistet. Aber dass es immer noch Menschen gibt, die mit der neuen Macht im Frauentennis nicht vertraut sind, erlebte Henin bei der Siegerehrung, als Bill Harrison, Geschäftsführer des Hauptsponsors, ungerührt ins Mikrofon sprach: „Keine hat hier mehr Herz gezeigt, Glückwunsch, Christine.“ Nun ja, auf dem Scheck, den er dann überreichte, stand zum Trost neben der Summe von einer Million Dollar der richtige Name. DORIS HENKEL