: Es gibt diesen Mief
Ist der Osten rechts und für ausländisch aussehende Reisende eine Zumutung? Zumindest ist der Rechtsextremismus ein gängiges Konzept
INTERVIEW EDITH KRESTA UND ANJA MAIER
taz: Ausländisch aussehende Berliner fürchten sich in den Osten zu fahren. Kann ein Schwarzer von Berlin beispielsweise nach Brandenburg ziehen?
Ralph Gabriel: Ich denke nicht, dass er dort gut leben kann. Er hat mit Einschränkungen in seinem Alltag zu kämpfen. Und wenn er sich vollkommen frei bewegt, wird er eindeutig über kurz oder lang in eine schwierige Situation kommen, mit rechtsextremen Jugendlichen. Wenn er sein Verhalten ändert, also zu gewissen Zeiten nicht an gewissen Orten auftaucht, ein angenehmes Arbeitsumfeld hat und ihm sehr offen begegnet, sehr freundlich in den Geschäften auf die Leute zugeht, um für Vertrauen zu werben, dann wird das alles wunderbar funktionieren. Aber er sollte nicht sich drauf verlassen, dass man ihm im Geschäft neugierig und mit großem Interesse entgegentritt, dass gar eine Verkäuferin ihn fragt, wo er denn herkommt, und sich für ihn interessiert.
Sie haben an einer Studie über Rechtsextremismus in Oranienburg mitgeschrieben. In Ihrem Buch behaupten Sie, dieser sei gesellschaftlich fest verankert. Ist es schlimmer geworden?
Auf jeden Fall ist es nicht besser geworden. Man hat Programme verabschiedet, ohne Erfolg.
In ihrem Buch „Futur exakt“ behaupten Sie, Rechtsextremismus sei – zumindest in Oranienburg – Mainstream, Common Sense.
Ja, es gibt rechtsextreme Erscheinungsformen, die ganz tief in der Jugendkultur, aber auch in der Erwachsenenwelt verankert sind. Man kann nicht mehr unterscheiden, welche rechtsextremen Elemente sind eigentlich in der Mitte der Gesellschaft Mainstream. Und mit Mainstream meinen wir das Verhalten. Für uns unterscheidet sich der Umgang mit Ausländern oder Migranten nicht – ob wir nun sehen, wie Asylgesetze ausgelegt werden oder wie Jugendliche Ausländer durch die Straßen hetzen. Wir sehen da einen unmittelbaren Zusammenhang
Rechtsextremismus ist demnach nicht eine Sache gesellschaftlicher Verlierer, sondern Resultat eines gesellschaftlichen Klimas.
Genau. Die Frage nach dem gesellschaftlichen Klima: Ist es fremdenfeindlich, ist es rassistisch, antisemitisch geprägt? All diese Elemente des Rechtsextremismus haben wir untersucht und auch die Gegenbewegung: Wer setzt sich für pluralistische Demokratie ein, wie wird das vermittelt? Und dieses Spannungsfeld, in dem Jugendliche aufwachsen, haben wir versucht zu beurteilen. Wir haben das unter Jugendlichen erfragt, beobachtet. Unser Ergebnis: Etabliertenvorrechte, Law and Order, Strategien der Fremdenfeindlichkeit sind weit verbreitet. Das ist der Nährboden, der rechtsextremes Verhalten überhaupt entstehen lässt, und dem wird nichts entgegengesetzt. Das ist sozusagen ein gängiges, langfristiges Konzept in der Jugendkultur, ein kulturelles, weniger ein politisches.
Steht denn Oranienburg stellvertretend für andere Orte in der DDR oder ist es eher so, dass die Geschichte dieser Stadt mit verantwortlich ist für das Klima?
Das ist die entscheidende Frage, die wir uns gestellt haben. Oranienburg hat historische Prägungen, die es ganz besonders machen. Das ist zum einen die Geschichte der Konzentrationslager ab 33, das ist die Geschichte des sowjetischen Speziallagers 1945 bis 1949, später die Geschichte der Kasernierten Volkspolizei und der NVA und der hier stationierten russischen Soldaten. Doch in Bezug auf Rechtsextremismus würde ich Oranienburg sehr wohl mit der Situation in Königs Wusterhausen, Schwedt, Rathenow, Eberswalde, Cottbus oder Angermünde vergleichen, weil dort auch ähnliche Organisationen aktiv geworden sind. Mit ähnlichem Erfolg. Diese Städte sind seit der Wendezeit massiv von rechtsextremen Organisationen okkupiert worden.
Was war Ihr erstaunlichstes Untersuchungsergebnis?
Was mich ansonsten am meisten erstaunt hat, ist dieses Nichtverhältnis zur DDR-Geschichte unter den Jugendlichen und den Erwachsenen, als hätte man damit nichts zu tun. Damit, dass man da so vollkommen verschlossen ist, habe ich nicht gerechnet. Da gibt es keine Antworten.
Gab es auch keine Fragen?
Auch keine Fragen. Ich glaube, diese Auseinandersetzung hat einfach nie stattgefunden.
Heißt das, es vollzieht sich eine doppelte Verdrängung: Sowohl die faschistische Vergangenheit ist verdrängt worden als auch die sozialistische?
Ja, das sind zwei wesentliche Schichten der Verdrängung. Es gibt diesen Mief. Das ist ein vielfältig geprägter Mief, so ein rechtsextremer Mief, der zum Teil noch aus dem Nationalsozialismus kommt. Auch die Macht- und Denkstrukturen des Sozialismus sind miefig.